FLORIAN GALLENBERGER ÜBER »JOHN RABE«

KITSCH UND KULTURKREISE

Florian Gallenberger über nette Nazis, böse Japaner und seinen Helden John Rabe


Der Film zum Interview
Wie angreifbar macht man sich mit einem solch widersprüchlichen historischen Stoff?

Der Film macht sich in jedem Land auf andere Weise angreifbar. In Japan wird er bestimmt kritisiert werden, weil er Japans Schande darstellt. In China, weil die Chinesen in unserem Film keine Helden, sondern Opfer sind, die von Ausländern gerettet werden. In Deutschland, weil die Hauptfigur ein NSDAP-Mitglied ist. Man hätte den Film sicher nicht machen können, wenn John Rabe bis zum Ende ein glühender Hitler-Verehrer geblieben wäre. Aber als er nach Deutschland zurückkehrte, wurde er von der Gestapo verhaftet und hat selbst die Folgen des Nationalsozialismus am eigenen Leibe zu spüren bekommen.

Und warum bekommen wir von der Rückkehr Rabes ins nationalsozialistische Deutschland auf der Leinwand nichts zu sehen?

Wir haben lange darüber diskutiert, wie der Film enden soll und uns dafür entschieden, den Film nur in China spielen zu lassen. Was in Deutschland passiert, zeigen wir in einer Texttafel am Ende des Films. Diese Texttafel wirkt für mich sehr stark, wenn man liest, dass dieser Mensch keinen Dank für seine Taten erfahren hat und vollkommen vergessen zugrunde gegangen ist.

War John Rabe ein tugendhafter Mensch?

Rabe hatte Überzeugungen, aber auch den Mut diese über den Haufen zu werfen. Er glaubte am Anfang fest daran, dass die Japaner ganz diszipliniert vorgehen werden, weil er in den deutschen Verbündeten ein kultiviertes Volk sah. Als er feststellte, dass das nicht stimmte, hatte er die Kraft, seine Überzeugungen beiseite zu schieben und auf die Realität zu reagieren. Alles folgt bei ihm aus einer Grundüberzeugung von Menschlichkeit.

Weiß der Mann überhaupt, was für einer Partei er da im fernen Deutschland die Treue geschworen hat?

Rabe glaubte fest, dass der Nationalsozialismus eine humanitäre Arbeiterbewegung ist. Er schreibt ja auch in der größten Not an Hitler, in der Überzeugung, dass der deutsche Führer den chinesischen Arbeitern helfen wird. Der Mann saß einem totalen Missverständnis auf und wusste gar nicht, was dieses Dritte Reich eigentlich war. Man darf natürlich nicht vergessen, dass Hitler vor Beginn des Zweiten Weltkriegs international noch ganz anders wahrgenommen wurde. Hitler war 1936 noch für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und "Man of the Year" im amerikanischen "Time Magazine".

Wäre ein Film wie dieser vor fünfzehn Jahren auch schon möglich gewesen?

Es gibt immer neue Blickwinkel auf die Geschichte. Die Rollen von Gut und Böse sind historisch eindeutig festgelegt. Und nachdem das erzählt worden ist, gibt es heute ein Interesse an Figuren, die zwischen diesen eindeutig festgelegten Rollen übrig geblieben sind. Je größer der historische Abstand zum Dritten Reich wird, umso mehr sucht man wieder nach neuen Facetten.

Sie inszenieren die historischen Ereignisse mit großen emotionalen Gesten. Wo ist da die Kitschgrenze?

In Deutschland hat man manchmal das Gefühl, dass ein Melodram fast so verwerflich ist wie ein Pornofilm. Ich habe da keine Berührungsangst. Ich finde es wunderbar, wenn Filme bewegen. Die Kitschgrenze wäre für mich etwa eine Nahaufnahme auf jemand der weint, obwohl man das längst gesehen und es einen emotional schon gepackt hat. Aber, was als Kitsch empfunden wird, ist letztendlich eine Geschmacksache - und eine Frage des Kulturkreises.

Martin Schwickert