TODD HAYNES ÜBER "I'M NOT THERE"

Künstlerische Umwege


Die Kritik zum Film

Regisseur Todd Haynes über "I'm Not There" und die vielen Gesichter des Bob Dylan

Haben Sie sich vor den Dreharbeiten mit Bob Dylan getroffen?

Nein, ich habe keine Interviews mit ihm geführt. Ich hatte nicht das Verlangen zu all dem Material, das es schon über Dylan gibt, etwas hinzuzufügen. Mir ging es eher darum, das bestehende Material neu zu beleuchten. Natürlich habe ich viele Biografien und Interviews gelesen.

Sie machen einen Film über eine der wichtigsten lebenden Musikikonen und haben nicht das Bedürfnis diese zu treffen?

Vielleicht hatte ich auch wenig Angst, aber ich brauchte das wirklich nicht. Dylan hatte mir schon alles gegeben. Jetzt würde ich ihn sehr gerne treffen. Aber erst, wenn er den Film gesehen hat. Bisher weiß ich nur, dass er die DVD in seinem Koffer hat.

Dennoch hat Bob Dylan Ihnen umfassende Rechte an seiner Musik eingeräumt.

Es wäre unmöglich gewesen, diesen Film ohne Dylan-Songs zu machen. Deshalb mussten wir uns um die Musikrechte kümmern. Das war geradezu schockierend unkompliziert.

Wie hat es Dylan geschafft sich immer wieder neu zu erfinden und alle Erwartungen gezielt zu enttäuschen?

Zum einen ist das seine persönliche Chemie. Sein oppositioneller Instinkt, der sich gegen jede Form von Indoktrination und Konsensdenken sträubt. Hinzu kommt das kulturelle Klima, in dem sich Dylan in den Sechzigern bewegt hat. Jedes Wort, das er gesagt hat, wurde damals genau analysiert und diskutiert. Die Menschen brauchen frische Luft zum arbeiten und die hat sich Dylan besorgt. Er hat sich immer wieder komplett regeneriert, auch wenn das die vollständige Verneinung seiner bisherigen künstlerischen Existenz bedeutete.

Spiegeln die zahlreichen Fake-Doku-Szenen Ihre Skepsis gegenüber der filmischen Herstellung von Authentizität?

Authentizität lässt sich nur über künstlerische Umwege herstellen. Deshalb fühlt sich Cate Blanchett von all den Dylans auch am wahrhaftigsten an. Man muss die Zuschauer überraschen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen Cate Blanchett für die Rolle zu besetzen?

Ich hatte immer vor, den Part mit einer Frau zu besetzen, um zu zeigen, wie androgyn Dylan sich damals gegeben hat, welche Wirkung das in dieser Zeit hatte und welches Risiko er damit eingegangen ist.

Was bedeutet ein Mann wie Bob Dylan heute noch?

Als Dylan vor sieben Jahren den Oscar für seinen Song in Wonderboys gewonnen hat und bei der Verleihung eine Live-Schaltung zu ihm nach Australien gemacht wurde, ist ein Schauer der Angst durch das Publikum gegangen. Denn ein kurzer Videoauftritt von Dylan wäre in der Lage, die ganze Oscar-Zeremonie über den Haufen zu werfen. Der Mann ist heute immer noch ein Risiko. Und von wem aus seiner Generation kann man das noch behaupten?

Interview: Martin Schwickert