JIM JARMUSCH ÜBER »THE LIMITS OF CONTROL«

DIE KRAFT DES AUGENBLICKS

Jim Jarmusch über Bohéme, Spiritualität, Nicholai Teszla und seinen Film

Eigentlich sprechen Sie gar nicht gerne über Ihre Filme. Stimmt das?

Nicht ganz. Ich mag nur nicht über meine Interpretation des Filmes reden. Was ich zu sagen habe, sage ich auf der Leinwand. Ich habe das Kino gewählt, um mich auszudrücken und sehr viel Zeit damit verbracht, das, was ich sagen will, in diese Form zu bringen. Aber dennoch ist ein Film für mich erst fertig, wenn das Publikum ihn gesehen hat. Oft erkennen die Leute Dinge in meinen Filmen, die ich gar nicht gemeint habe. Das finde ich spannend. Ich lese auch prinzipiell nur die negativen Kritiken, weil es mich interessiert, wie jemand, der sehr weit weg von mir steht, meinen Film wahrnimmt.

Woody Allen dreht in London und Barcelona. Sie sind nach Spanien gereist. Ist Europa die neue Heimat des amerikanischen Independent-Kinos?

Als ich mit den Vorbereitungen anfing, stand fest, dass ich mal wieder für einige Zeit aus den USA raus wollte. Es ist für meine Sicht auf die Welt wichtig, das Land, in dem ich lebe, ab und an zu verlassen. Ich fange immer an in meinem Notizbuch kleine Ideen zu sammeln, aus denen sich dann erst sehr viel später eine Geschichte formt. Viele dieser kleinen Ideen waren mit Spanien verbunden und denen bin ich nachgegangen.

John Hurt monologisiert über die kulturelle Rolle der Bohéme. Blicken Sie mit einem nostalgischen Gefühl Ihre auf eigene Zeit in der New Yorker Boheme zurück?

Nein, ich fühle mich immer unwohl, wenn Sachen historisiert werden. In New York konnte man Ende der 70er bis Mitte der 80er so billig leben, dass jeder in Manhattan einen Platz fand. Man machte irgendeinen Halbtagsjob und konnte immer noch die ganze Nacht in Rock'n Roll Clubs abhängen. Aber das ist schon lange vorbei.

In Ihren letzten drei Filmen war die ruhige Präsenz der Gesichter von zentraler Bedeutung. Was haben Sie im Gesicht von Isaach De Bankolé gesucht?

Isaachs Gesicht ist eine großartige Landschaft. Die Struktur seines Gesichtes ist sehr wandelbar. Er macht wenig und sagt sehr viel. Sein Gesicht erinnert mich an die afrikanischen Skulpturen, von denen sich die Kubisten inspirieren ließen.

Seine namenlose Figur ist ein äußerst schweigsamer Held.

Die Figur ist sehr offen angelegt. Ich sehe sie eher als einen Rezeptor, der seinem eigenen Bewusstsein vertraut. Dieser Mann ist in der Lage das, was er sieht, in sich aufzunehmen. Ob das ein Bild im Museum ist oder eine Szene auf der Straße - der unwiederholbare Augenblick ist wichtig für ihn, so wie er es für jeden von uns sein sollte.

Dürfen wir da eine gewisse Zivilisationskritik heraushören?

Ich glaube, die Menschen leben heute zu wenig fokussiert. Sie halten alles für selbstverständlich. Natürlich kann man das nicht generalisieren. Aber in unserer Weltkultur hat man das Gefühl, dass die Menschen sich wie Schafe benehmen, die machen, was ihnen gesagt wird. Die Menschen vertrauen nicht ihrem eigenen Bewusstsein und leben zu wenig im Augenblick.

Warum berufen sich heute so viele Filmemacher auf östliche Philosophien? Ist das eine Frage des Alters?

Als ich jung war, war ich ein militanter Atheist und habe mich gegen alles gewehrt, was mit Glauben zu tun hat. Dann bin ich für einen Film in den Amazonas gereist. Dort habe ich mich mit der Naturphilosophie eines abgeschiedenen Stammes und später auch der Philosophie der "native americans" beschäftigt, von wo aus ich wiederum Verbindungen zur östlichen Philosophie entdeckt habe. Das kam in verschiedenen Wellen auf mich zu, und langsam entwickelte sich in mir eine gewisse Spiritualität . Aber ich bin kein praktizierender Buddhist. Dazu fehlt mir die Disziplin.

In Ihrer Arbeit als Filmemacher ist Ihnen die absolute künstlerische Kontrolle sehr wichtig.

Ich bin ein totaler Kontrollfreak, wenn es um meine Filme geht. Alle Locations, jede Dialogzeile, jede Farbe, jedes Objekt, jedes Kleidungsstück ist mir wichtig. Denn jeder Take ist einmalig. Das kann man im Schneideraum sehr genau sehen. Die einzelnen Takes der gleichen Szene sind vollkommen verschieden. Man kann eine Szene nie wieder auf dieselbe Art drehen. Kein Moment ist wiederholbar. Im Film wie im Leben.

Das Aufeinanderprallen von Sprachen und Kulturen ist ein immer wiederkehrendes Motiv.

Sprachen und Kulturen variieren einander permanent und mir gefällt die Schlichtheit, in der sie einander in diesem Vermischungsprozess begegnen. Mich hat es schon immer fasziniert, wie Unterschiede die Dinge miteinander verbinden.

Dann müssten Sie dem derzeitigen Prozess der Globalisierung ja eher positiv gegenüber stehen?

Wenn man den Vorstellungen der Konzerne folgt, läuft alles auf eine Homogenisierung hinaus. Aber es gibt auch andere Modelle: Nicolai Tesla etwa hatte zu Beginn des letzten Jahrtausends die Idee, dass in der Zukunft die Menschheit durch Informationen vernetzt ist - so wie wir es heute durch das Internet haben - und das dadurch niemand mehr hungern muss, weil man die Nahrungsmittelüberschüsse besser verteilen könnte. Wenn es um ein globales Bewusstsein geht, kommt es darauf an, welchem Modell wir folgen wollen. Wir haben die Wahl.

Interview: Martin Schwickert