NANA DJORDJADZE ÜBER »27 MISSING KISSES«

Ich kann nicht seriös sein

Die Regisseurin über ihren Film


Der Film zum Interview

Was hat Sie an der Welt der 14jährigen Sibylla interessiert?

Diese Zeit des Übergangs zwischen Kind und Frau finde ich sehr spannend. In diesem Alter verlieben sich Mädchen normalerweise das erste Mal, während die Jungs noch viel unreifer sind. Sybilla ist ein ganz spontaner Charakter voller Gefühl und Temperament. Sie analysiert nicht. Sie macht das, was sie will und zwar sofort. Sie ist sehr impulsiv und denkt nicht darüber nach, was später wird.

Ist "27 Missing Kisses" eine Lolita-Geschichte?

Die Perspektive ist genau umgekehrt. Sybilla ist die aktive. Sie schämt sich nicht und will nichts verstecken. Sie macht alles genauso, wie sie es empfindet und bewegt sich damit auch immer am Rande des Abgrunds. Alexander ist ein Mann, der mit Frauen ganz leicht in Kontakt kommt. Aber er hat auch einen starke moralische Seite, die mir sehr wichtig ist. Er weiß ja, dass Sybilla noch ein Mädchen ist. Außerdem ist sein eigener Sohn in sie verliebt und dem mÖchte er nicht weh tun. Das ist eine tragische Dreieckssituation, an der niemand Schuld hat.

Trotzdem haben Sie aus dieser tragischen Geschichte einen sehr humorvollen Film gemacht.

Ich kann einfach nicht seriÖs sein. Ich muss die Dinge immer mit Humor und Selbstironie betrachten.

Das Drehbuch stammt erneut von ihrem Mann Irakli Kvirikadze. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit an einer Filmidee?

Irakli Kvirikadze war ja früher selbst Regisseur und auch mein Dozent an der Filmhochschule in Tbilissi. Aber er hat dann mit dem Regiehandwerk aufgehÖrt, weil er zu wenig Zeit hatte, all die Geschichten, die in seinem Kopf sind, niederzuschreiben. Seine Drehbücher sind immer so voll mit Ideen, dass man daraus drei Filme machen kÖnnte. Sehr viel muss dann herausgetrichen werden. Das ist zum Teil meine Aufgabe, aber viele Beschränkungen ergeben sich auch durch die Drehbedingungen. Ich arbeite gerne spontan, und eigentlich ist das Drehbuch bis kurz vor dem Schnitt noch nicht fertig. Wenn eine Szene im Sonnenschein geplant ist und es in StrÖmen regnet, schreibt Irakli die Szene dann einfach noch am Set komplett um.

Kein Ehestreit am Set?

Als wir den Film in Berlin zusammen geschnitten haben, haben wir so laut gestritten, dass die armen Deutschen gar nicht wussten, ob sie die Polizei, die Feuerwehr oder einen Arzt rufen sollten. Aber das ist für uns ganz normal. Wir streiten immer nur über die Arbeit, nie über unser Leben.

In ihrem Film gerät eine georgische Kleinstadt durch den Erotikfilm Emanuelle in den Ausnahmezustand.

Um den Film gab es damals eine totale Hysterie. Das war die sexuelle Revolution. Ich war noch ein halbes Kind, als Emanuelle nachts um 2 Uhr gezeigt wurde. Es war eine Geheimvorführung, aber natürlich sprach sich das wie ein Lauffeuer herum.

Wie hat sich Ihre Art des Filmemachens nach dem Ende der UdSSR geändert?

Wir waren damals ja recht isoliert. Zwischen 1968 und 1986 durfte ich die Sowjetunion nicht verlassen, weil ich als junge Studentin in der CSSR am Prager Frühling teilgenommen hatte. Alle drei Filme von mir wurden verboten und fast alle von meinem Mann. Weil man ohnehin mit einem Verbot rechnen musste und auch mit der Finanzierung nichts zu tun hatte, haben wir damals Filme gemacht, die sich nicht so sehr am Publikum orientiert haben. Das hat sich heute geändert. Ich habe gelernt, mehr an die Zuschauer zu denken, ohne dadurch meine Geschichten zu verraten.

Inwieweit spiegelt sich in Ihren Filmen die Realität Osteuropas wieder?

Ich weiß nicht was Realität ist. Ich habe meine eigene Wirklichkeit und meine Gefühle. Vielleicht kann man die Realität in den Fernsehnachrichten besser sehen. In meinen Filmen sieht man immer nur meine Realität.

Interview: Martin Schwickert