KEN LOACH


Der Optimist

Über Tony Blar, Rassismus und seinen Film Just a Kiss



Im Vergleich zu Ihren sozialkritischen Filmen ist der Ton dieses Werks eher leicht.
Verglichen mit meinen früheren Filmen leben die Figuren nicht in Armut, sondern gehören zum Mittelstand. Mit dem Milieu musste sich auch der Ton verändern.
Warum kehren Sie immer wieder nach Glasgow zurück?
Glasgow ist eine interessante Stadt mit vielen Facetten. Die alten Industrien, Schiffbau und Fischfang, sind weg, neue müssen erst aufgebaut werden. Die Minen in der Nähe sind auch in der Krise. Die Stadt hat viele soziale Kämpfe erlebt, und viele Immigranten prägen das Stadtbild. Alle sozialen Aspekte kommen dort zusammen. Wenn man dort dreht, ist man immer willkommen. Die moslemische Gemeinde hat uns sehr unterstützt. Besonders die jungen Leute, die ihre Probleme wieder fanden.
Hat der 11. September 2001 Ihre Neugier auf das Thema geweckt?
Der 11. September hat die Sicht verändert. Viele Briten denken, dass Muslime gefährlich sind. Dieser Eindruck verfestigt sich durch die Nachrichten über muslimische Terroristen. Dabei vergessen wir die christlichen Extremisten, die ihre Religion auch betrügen. Ausgangspunkt des Films war die Idee, einen Blick auf das Leben der zweiten Einwanderergeneration zu werfen. Den Eltern ist bei der Einwanderung oft der Hass ihrer Mitbürger entgegengeschlagen, weshalb sie sich abgeschottet haben. Einen Ausweg sehen sie, in dem sie ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Aber sie nehmen nicht teil am Leben der westlichen Gesellschaft, weil sie respektierte Mitglieder der moslemischen Gemeinschaft werden sollen.
Ist der Traum von der multikulturellen Gesellschaft gescheitert?
Sie ist Realität. Besonders die Arbeiterklasse hat sich durch die Einflüsse von Einwanderern aus aller Welt total gewandelt. Die gegenwärtige Diskussion über Integrationsmöglichkeiten läuft auf einer falschen Ebene, denn sie kritisiert die Einwanderer und verlangt einseitig, dass nur sie sich anpassen. Wir müssen endlich begreifen, dass sich Kulturen immer gegenseitig beeinflusst haben und Religionen für Spannungen unter den Gruppen gesorgt haben.
Wobei die katholische Kirche Roisin und Casim mit der gleichen Intoleranz begegnet wie dessen moslemische Familie
Es ist nur natürlich, wenn die Kirche versucht, Werte zu bewahren, die über Jahrhunderte galten und für viele Menschen heute noch Gradmesser ihres Handelns sind. Auch viele Ausländer schicken ihre Kinder gerne auf konfessionelle Schulen, weil sie sehr restriktiv sind in der Geschlechtertrennung und bei der Unterbindung von Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen. Grundsätzlich finde ich es aber schockierend, dass die Katholische Kirche in Schottland vom Staat die Kontrolle über die Bildung und Schulen erhalten hat. Die Religion sollte getrennt werden von der Erziehung und Ausbildung.
Wird über das Problem diskutiert?
Ein bisschen. Tony Blair ist ein großer Fan von konfessionellen Schulen. Er ist überzeugter Christ und möchte Schulen auf diesem Fundament. Er ermutigt die Menschen noch zum Sektierertum, denn wenn die Katholiken ihre Schulen haben, sollte man sie anderen Konfessionen nicht verweigern.
Trotz aller Kritik an der Gesellschaft schwingt immer ein Hauch Optimismus in Ihren Filmen mit.
Ich bin Optimist wenn ich eine langfristige Entwicklung sehe. Ich wünsche mir manchmal nur, es wären mehr Menschen so optimistisch wie ich, dass man die Welt verändern kann.
Glauben Sie an eine Renaissance linker Ideen?
Wenn man sich die Politik in der Europäischen Union ansieht, hat man den Eindruck, dass die Thatcher-Politik jetzt im Rest von Europa umgesetzt wird. Die sozialen Netze werden gekappt und die staatlichen Industrien privatisiert. Diese äußerst konservative Position wird zu großen Verwerfungen führen und zu Kämpfen, die für die Linke eine Herausforderung sind. Daher können linke Ideen heute gar nicht moderner sein. Wir brauchen eine neue Linke, die sich gegen Attacken gegen Immigranten wendet, sich in den Antiglobalisierungskampf einmischt und etwas gegen die rücksichtlose Ausbeutung der Natur tut. Sonst hinterlassen wir unseren Kindern eine Welt der Barbarei.

Interview: Katharina Dockhorn