INTERVIEW

»Laut, lustig und verrückt«

Baz Luhrmann über Nicole Kidman, Musicals und seinen Film »Moulin Rouge«
Woher kommt ihre Vorliebe für die altmodische Form des Musicals?
Luhrmann: Ich bin an einem einsamen Ort in Australien aufgewachsen. Da gab es nur eine Tankstelle, eine Farm und ein Kino, in dem sehr viele Musicals gezeigt wurden. Ich mochte immer das Gefühl, das diese künstliche Form hervorbringt, und wollte diese Form für das Kino neu entdecken. In fast allen Kulturen findet man Zeremonien, in denen die wichtigsten Punkte im Leben mit Tanz und Gesang verbunden werden. Und das hat seinen Grund. Herumspringen und dazu mit der Stimme einen Klang produzieren - das ist eine Art religiöse Magie, die diese armselige Verteidigungshaltung und die ach so coole Mauer um uns herum aufbricht.
Wie brechen Sie in Ihren Filmen diese Mauer auf?
Luhrmann: Wir nennen unsere Art Filme zu machen Kino des Roten Vorhangs. Ein theatralisches Kino, das das Publikum aktiv beteiligt. Es geht hier nicht um Realismus oder Naturalismus, sondern im Gegenteil um eine Wiedererfindung eines grundlegenden Mythos. Im Falle von Moulin Rouge ist es der Orpheus-Mythos, der die Reise vom jugendlichen Idealismus ins Erwachsenenleben beschreibt. Keine psychologische Geschichte, sondern ein kurzer, verständlicher, mythologischer Text. Diese schmale Geschichte wird dann möglichst fett ausgestaltet. Die Szene, in der der Junge dem Mädchen seine Liebe gesteht, wäre in einem naturalistischen Film höchstens 90 Sekunden lang. In Moulin Rouge sind es viereinhalb Minuten auf dem Dach eines riesigen künstlichen Elefanten. Die Story muss in einer unglaublichen Welt angesiedelt sein, die dem Zuschauer weit entfernt und trotzdem vertraut erscheint. In Strictly Ballroom war das der Tanzsaal, in Romeo und Julia das postmoderne Verona Beach. Hinzu kommen die Kunstgriffe, die darauf abzielen, das Publikum wachzuhalten, damit es seine Seherfahrung genießen kann. Deshalb werden Choreographen, Musikleiter, Cutter und Set-Designer schon in der Phase des Drehbuchschreibens miteinbezogen.
Nicole Kidman kennt man eher als kühle, unnahbare Schönheit. Wie sind Sie darauf gekommen, sie als romantische Heldin zu engagieren?
Luhrmann: Es gibt kaum einen Star in ihrem Alter, den ich mir für die Rolle nicht angeschaut habe. Die Rolle war heiß begehrt, Nicole Kidman hat sie bekommen, weil sie den Kriterien entsprach. Ich habe mit ihr das erste Mal vor 10 Jahren gearbeitet, als wir einen Clip für Vogue gedreht haben. Damals war sie laut, lustig, verrückt - ein Feuerwerk von einer Person. Natürlich kennen wir sie hauptsächlich als distanzierte Persönlichkeit, und das wollte ich ja auch auf der Leinwand sehen. Auf der einen Seite sollte sie so kühl auftreten wie Marlene Dietrich, auf der anderen Seite sollte sie sein wie Doris Day: das warmherzige, lustige, bodenständige Mädchen von nebenan. Nicole Kidman hat diese Qualitäten miteinander verbunden. Die Frage war nur: Kann sie die Rolle auch singen? Wir haben intensiv miteinander gearbeitet und herausgefunden, dass sie es kann.
In ihren Filmen vermischen Sie alte Mythen mit moderner Popkultur zu einer neuen, frischen Kunstform. Haben Sie gar nicht das Bedürfnis etwas originär Eigenes zu produzieren, wie sich das für ein gewöhnliches Genie gehört?
Luhrmann: Zeigen Sie mir etwas Reines und ich zeige Ihnen, woraus es entstanden ist. Ich zitiere Ideen und die Ideen, die ich zitiere, ob das nun Shakespeare ist oder ein Stück Popkultur, sind meistens selbst aus Zitaten entstanden. Trotzdem sind Filme wie Moulin Rouge weit entfernt von den gängigen Mustern des Hollywood-Betriebes.
Viele Filmemacher wie etwa die dänischen DOGMA-Regisseure suchen als Reaktion auf die Dominanz Hollywoods nach mehr Authentizität im Kino. Sie gehen genau in die andere Richtung ...
Luhrmann: Ich denke Lars von Trier nimmt das mit den DOGMA-Regeln auch nicht so ernst und schließlich ist er ja mit Dancer in the Dark auch beim Musical gelandet. Ich denke, wir haben ein ähnliches Ziel, verwenden aber eine andere Sprache. Ich habe auch meine Dogmen, aber ich denke, es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Ich sehe mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede, denn eigentlich geht es hier um Hollywood und die dominanten, westlichen Kino-Konventionen, die sich nur noch am Physischen orientieren. Die Devise in Hollywood in den letzten Jahren war: Low-Concept und High-Tech-Ausführung. Um ein paar Dinosaurier wieder zum Leben zu erwecken, werden Millionen von Dollars ausgegeben. Wir leben gerade in einer Welt, die sich dramatisch verändert, und ich glaube, dass das dominierende Action-Kino mit all seinen einstürzenden Gebäuden sein Vorherrschaft verlieren wird. Ich hoffe, dass sich das theatralische Kino wieder mehr durchsetzt und ich weiß, dass schon einige andere Musicals in Produktion sind.
Seit Romeo und Julia arbeiten sie selbst mit einem Hollywood-Studio zusammen. Ist es schwer für Sie ihre Filme durchzusetzen?
Luhrmann: Mit einer zeitgenössischen Shakespeare-Verfilmung bin ich damals im Studio nicht gerade auf Enthusiasmus gestoßen. Die hätten lieber einen zweiten Strictly Ballroom gehabt. Ich glaube bei Moulin Rouge haben Sie gedacht: O.K. das ist ein Baz-Luhrman-Projekt, Hauptsache er überzieht nicht sein Budget. Ich bin kein Angestellter, und bei meinen Filmen entscheide ich selbst, was ich machen will. Meine Filme machen Gewinn, und kreative Entscheidungen in Hollywood werden allein nach ökonomischen Gesichtspunkten getroffen.

Interview: Martin Schwickert