ERROL MORRIS ÜBER »STANDARD OPERATING PROCEDURE«

»Der Krieg geht weiter«

Errol Morris über die USA, Folter und seine Dokumentation »Standard Operating Procedure«


Die Kritik zum Film

Mr. Morris, die Foltergehilfen von Abu Ghraib geben Ihnen offen Auskunft über ihr Tun. Wie kommt das?

Sie waren froh, dass sich jemand die Zeit nahm, ihnen zuzuhören, ohne eine feste Agenda, bei der schon vorher klar ist, was man hören will. Wenn man etwa die Zeitungsberichte über Lynndie England liest, erwartet man, dass sie sich nicht artikulieren kann. Aber diese Frau ist nicht die Idiotin, als die sie in den Medien dargestellt wurde.

Was entblößen und was verdecken die Fotos in Abu GhraiIch glaube, die schlimmsten Taten in Abu Ghraib sind nicht fotografiert worden. Ich empfinde es als sehr ironisch, dass die Praktiken auf den empörendsten Fotos vorschriftgemäß nach den Regeln der Armee "Standard Operating Procedure" waren. Ein Gefangener, der nackt mit dem Slip über dem Kopf in einer Stressposition an einen Heizkörper gekettet ist und gezwungen wird diese Stellung über mehrere Stunden einzunehmen - das war in Abu Ghraib der Normalvollzug. Für mich ist das Folter.

Einige Fotos wurden von den Soldaten speziell in Szene gesetzt...

Diese Bilder stellen oft Situationen von sexueller Erniedrigung dar. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung haben diese Fotos von den Misshandlungen abgelenkt, die nach Militärrecht legal zum Verhöralltag gehörten.

Was sagt Abu Ghraib über den Zustand der Gesellschaft aus?

Abu Ghraib - das ist nicht nur eine Geschichte über Folter, sondern eine Desillusionierung all dessen, für das mein Land einmal gestanden hat.

Der Krieg im Irak ist doch nicht der erste Konflikt, in dem die USA an Folter beteiligt waren!

Ich bin nicht so naiv zu denken, die amerikanische Geschichte sei die Geschichte eines sauberen Landes, das plötzlich in einen Albtraum geraten ist. Aber noch nie hat das Bild, das zur Rechtfertigung kreiert wurde, in einem so offenen Widerspruch zu den tatsächlichen Bilder gestanden.

Glauben Sie, dass die Fotos und Ihr Film die Situation verändern?

Es gab fast ein Dutzend offizielle Untersuchungen der Zustände in Abu Ghraib. Aber die schauen sich immer nur ein kleines Stück vom Elefanten an und vermeiden es gezielt, die Gesamtsituation zu betrachten. Sie verdecken die Geschichte eher, als dass sie sie untersuchen. Der Krieg geht weiter. Es wird immer so bleiben, dass Vorgesetzte einfache Soldaten für Dinge anklagen, für die sie selbst die Verantwortung tragen sollten. Dennoch muss man darauf aufmerksam machen. Wir leben in einer Demokratie, wenn man fühlt, dass da eine offene Wunde ist, sollte man es so laut wie möglich sagen, egal welchen Effekt es dann wirklich hat.

Interview: Martin Schwickert