INTERVIEW MIT ULRICH MÜHE

Meine vier Spitzel
Ulrich Mühe über Stasi, Schauspieler und den Film »Das Leben der Anderen«

Sie haben schon einige Angebote abgelehnt, einen Stasi-Offizier zu spielen.
In Das Leben der Anderen ist es gelungen, eine scheinbar negative Figur ins Zentrum zu rücken und diese Figur als Menschen am Ende nicht aufzugeben. Mich hat interessiert, wie aus so einer Hülle, vollgefüllt mit Ideologie, im Verlauf des Films ein Mensch wird.
Wie geht diese "Menschwerdung" Wieslers vor sich?
Mit der Ideologie ist es wie mit dem Glauben. Wenn Sie den Zweifel zulassen, kommt das ganze Gebilde ins Rutschen. Wenn Wiesler da oben auf dem Dachboden einsam sitzt mit seinem Kopfhörern, wird er mit Problemen konfrontiert, die bisher überhaupt nicht in seinem Lebensbereich waren und er erkennt langsam, dass es etwas anderes im Leben gibt, als Befehlsstrukturen und die Liebe zum Sozialismus.
Wie nah kommt der Film der Stimmung in der DDR-Theaterszene dieser Jahre?
Das Drehbuch kommt sehr nahe an diese Zeit heran. In der Vorbereitung auf den Film habe ich Florian von Donnersmarck versucht zu erklären, wie wir uns damals in den 80ern gefühlt haben, was uns bewegt hat. In dieser Erinnerungsarbeit lag für mich eigentlich die Hauptvorbereitung auf die Rolle. Natürlich verdichtet der Film dieses Lebensgefühl - wir waren ja nicht jeden Tag am Verzweifeln - aber ihm gelingt es, diese Zeit noch einmal zu reorganisieren.
Inwieweit haben Sie sich als sehr renommierter Schauspieler in der DDR selbst als "Anderer" gefühlt?
Das Theater war einer der wenigen Orte in der DDR, wo man die Leute nicht anlog, zumindest nicht so plump wie im Rundfunk oder Fernsehen. Natürlich haben wir auch am Theater Kompromisse machen müssen, aber es gab diese stille Vereinbarung mit den Publikum, dass man sich nicht belügt. Das war für uns ein hohes Gut.
Schauen Sie manchmal mit Wehmut auf diese Zeit zurück, in der das Theater die Menschen so nahe anging?
Zum einen bin ich unendlich froh, dass dieses Kapitel der Geschichte geschlossen ist und ich auch noch jung genug war, mich dem Neuen zu öffnen. Zum anderen ist es natürlich so, dass ich in der DDR eine ganz andere Art von Theater gemacht habe, die von einer unglaublichen Wichtigkeit bestimmt war. Damals hockten die Leute in der Vorstellung vorne auf der Stuhlkante. Heute sitzen sie nach hinten zurückgelehnt meist mit vollem Bauch. Und das bestimmt eben auch die Art der Rezeption. Das kann man bedauern, aber das ist eben so wie es ist.
Glauben Sie es gab bei der Stasi viele Offiziere wie Wiesler, die ab einem gewissen Punkt an ihrer Arbeit zweifelten oder sogar verzweifelten?
Sicherlich ist Wiesler nicht die repräsentative Figur für die Stasi. Aber ich kann mir es nicht anders vorstellen, als dass es viele Leute wie Wiesler gegeben hat. Sonst wäre diese DDR 1989 nicht wie ein alter Kuchen in sich zusammengefallen.
Haben Sie in Auseinandersetzung mit Ihrer Rolle auch ein gewisses Verständnis für den Berufszweig des Stasi-Offiziers entwickelt?
Nein, soweit ging das nicht. Aber es war eine Herausforderung, so einem Menschen einmal ganz nahe zu kommen. Ich finde es wichtig, dass man den Mann am Ende nicht preis gibt. Wiesler verliert durch sein Handeln sehr viel, aber er gewinnt an menschlicher Kraft.
Wie sah Ihre alltägliche Auseinandersetzung mit der Stasi aus?
Wenn man mit einem Betrieb in einer gewissen Größe zu tun hatte, wusste man, dass es dort einen hauptamtlichen Stasi-Offizier gibt. Jeder Betriebsleiter hatte Kontakt zur Stasi. Das war Alltag. Da hat man sich nicht drüber aufgeregt. Aber dann gab es natürlich Punkte, wo man kollidierte. Da habe ich ein paar Erfahrungen, aber das ist natürlich leichtes Zeug, wenn man es in Vergleich setzt zu Leuten, die gequält und inhaftiert worden sind. Als Künstler hatten wir eher das Gefühl von Narrenfreiheit. Wenn wir in der Kantine des Deutschen Theaters einen Witz erzählten, hatte das keine Konsequenz. Aber wenn ein Arbeiter im Zementwerk Rüdersdorf den gleichen Witz erzählte, sah das schon anders aus.
Die Stasi hatte auf Sie vier verschiedene IMs angesetzt. Wie sind Sie damit nach der Wende umgegangen?
Mit den IMs, die ich in meiner Akte vorfand, hatte ich nicht gerechnet. Andere wiederum hatte man innerlich unter Verdacht und hat sie zu Unrecht nicht an sich herangelassen. Ich habe zwar von zwei IMs am Deutschen Theater die Klarnamen bekommen, aber ich habe weder die Konfrontation noch das Gespräch gesucht. Ich wollte mir nicht noch von denen die Gründe anhören, warum sie das gemacht haben.

Interview: Martin Schwickert


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