NATALIE PORTMAN ÜBER »V WIE VENDETTA«

GEHIRNWÄSCHE
Über Politik, Terror und George Bush


Die Kritik zum Film



"V wie Vendetta" stellt die Frage nach der Berechtigung von politisch motivierter Gewalt. War die politische Aktualität des Stoffes ein Grund dafür, dass Sie sich für die Rolle interessiert haben?
Mich haben vor allem die grundsätzlichen Fragen interessiert, die der Film zum Thema Gewalt, Gerechtigkeit und Terrorismus aufwirft. Und obwohl ich mich nun zwei Jahre mit dieser Materie beschäftigt habe, ändert sich meine Meinung dazu immer noch. Evey entwickelt sich von einer unpolitischen Person zu einer Frau, die ein politisches Bewusstsein entwickelt und ihre Stimme gegen das System erhebt. Aber ihr Weg dorthin bleibt undurchsichtig. Man ist nicht sicher, ob dies wirklich ihre eigene Entscheidung ist oder ob sie von V einer Gehirnwäsche unterzogen wurde. Diese Komplexität hat mir gefallen. Denn auch wenn Menschen Gewalttaten aufgrund ihrer politischen Überzeugungen begehen, müssen sie sich selbst zuerst einer Gehirnwäsche unterziehen, um für diese Ideale ihre ureigene Humanität auszuschalten. Auch wenn wir uns Situationen vorstellen können, in denen man den Einsatz von Gewalt für gerechtfertigt hält, muss man sich selbst erst einmal zu diesem Punkt bringen.
Heißt das, dass Evey für ihre politischen Überzeugungen über ihre eigenen Gefühle hinweg gehen muss?
Ich würde nicht sagen, dass sie über ihre Gefühle hinweg geht. Auf gewisse Weise drückt sie auch so ihre Gefühle aus. Eveys Eltern sind für ihre politischen Überzeugungen umgebracht worden und sie steht nun in dem idealistischen Konflikt, ob sie das politisch Richtige und Wichtige tun oder sich nur um ihre privaten Angelegenheiten kümmern soll.
Sind Sie eine Idealistin?
Ich bin sowohl idealistisch als auch pragmatisch. Leider. Manchmal wünschte ich, ich wäre dem Idealismus näher. Ich lasse mich vielleicht zu oft auf pragmatische Erwägungen ein, so dass mein Idealismus Schaden nimmt.
Woher kommt Ihr persönliches politisches Bewusstsein?
Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Politik eine sehr große Rolle gespielt hat. Ich finde es traurig, wenn sich die Leute nicht für Politik interessieren. In den USA liegt die Wahlbeteiligung nur bei 50%. Das ist so, weil die Lage im Land sehr stabil ist und sich unsere Lebensumstände von einem Präsident zum anderen nicht wirklich ändern. Für die Menschen im Rest der Welt ändert sich durch einen neuen US-Präsidenten, wie man gerade sehen kann, sehr viel mehr. Amerika ist ein reiches, stabiles Land. Meine Eltern kommen aus Israel, ich selbst bin auch dort geboren. In Israel ist die Lage immer instabil und die Leute sind besessen von politischen Themen, weil sie immer versuchen herauszufinden, wer die bessere Politik macht.
Sie waren zwölf Jahre alt, als Sie für "Leon, der Profi" das erste Mal vor der Kamera standen. Viele Kinder-Stars haben später das Gefühl, dass Hollywood Ihnen Ihre Kindheit gestohlen hat. Geht Ihnen das auch so?
Ich habe meine Kindheit nicht verpasst. Ich hatte einfach eine andere Kindheit. Es gibt kein standarisiertes Modell dafür, wie eine Kindheit zu verlaufen hat. Und meine Kindheit war sehr interessant. Ich bin viel gereist, habe Autoren, Regisseure und Schauspieler kennen gelernt und musste mich für jeden Film mit neuen Dingen auseinandersetzen. Ich habe für "Leon - der Profi" mit zwölf für ein paar Monate in Frankreich gelebt und für "Beautiful Girls" habe ich Eislaufen gelernt. Ich hatte das Glück, ein stabiles Elternhaus zu haben, das auf meine Schulausbildung geachtet hat und mich von dem ganzen Unsinn des Hollywood-Betriebs fern gehalten hat. Ich bin jedes Jahr in die Schule gegangen und habe auch heute noch viele Freunde, die mit dem Filmgeschäft nichts zu tun haben.
Sie haben vor ein paar Jahren mal gesagt: "Ich gehe aufs College. Es ist mir egal, ob dadurch meine Karriere ruiniert wird. Mir ist es wichtiger smart zu sein als ein Filmstar zu werden." Warum habe Sie sich nun doch für die Filmkarriere entschieden?
Weil ich glaube, dass man auch in diesem Beruf etwas Sinnvolles tun kann. Das Kino und das Theater sind Orte, an denen wir ein wichtiges soziales Verhalten lernen. Die Menschen sitzen hier über mehrere Stunden zusammen in einem dunklen Raum und versetzen sich in andere Personen hinein. Sie erleben, was diese Menschen fühlen, was sie durchmachen und lernen sie zu verstehen. Wenn man dann danach aus dem Kino kommt und einen Obdachlosen sieht, denkt man vielleicht eher darüber nach, wie es diesen Menschen geht, was sie denken und fühlen. Das Kino hilft unsere Vorstellungskraft und unser Mitgefühl für andere Menschen zu erweitern.

Interview: Martin Schwickert