INTERVIEW MIT QUENTIN TARANTINO

KEINE TRICKS

über asiatisches und westliches Kino und seinen Film »Kill Bill«


Mr. Tarantino, »Kill Bill« hat sich den Traditionen japanischer Samurai- und chinesischer Kung-Fu-Filme verschrieben. Was kann Hollywood vom asiatischen Kino lernen?
In erster Linie ist es die unglaubliche Vitalität des asiatischen Kinos, von der sich Hollywood eine Scheibe abschneiden könnte. In den 80er und 90er Jahren kamen aus Hongkong sehr aufregende Filme. Heute sind es Japan und Korea, die das verrückteste Kino machen. Das asiatische Kino beruht genauso auf Genres wie das amerikanische. Die haben auch ihre Regeln, aber diese Regeln sehen, verglichen mit unseren, erfrischend anders aus.
Sind Sie in »Kill Bill« den Regeln des Samurai-Films treu geblieben?
Ja, ich denke schon. Aber im Westen wird das keiner merken.
Stimmt es, dass Sie eine Version für den westlichen und eine für den japanischen Markt produziert haben?
Ich mache meine Filme für die ganze Welt. Wenn ich einen Film drehe, denke ich nicht darüber nach wie er in New York oder im Mittleren Westen ankommt, sondern an Spanien, Ungarn, Deutschland, Japan usw. Dadurch, dass ich mit den Kinotraditionen aus diesen Ländern vertraut bin, habe ich eine gewisse Vorstellung davon, wie bestimmte Sachen dort ankommen. Für einen amerikanischen Film mag es ein großes Ding sein, jemanden den Arm abzuschlagen und die Blutfontäne einen halben Meter hoch spritzen zu lassen. In Japan ist das keine große Sache. Das ist Teil ihrer Filmkultur. Deshalb habe ich mir den Spaß erlaubt eine Version für den westlichen Markt und eine für Japan zu machen, die sich ein wenig voneinander unterscheiden.
Glauben Sie, dass sich durch »Reservoir Dogs« und »Pulp Fiction« die Akzeptanz des Publikums für gewalttätige Szenen verändert hat?
Da ist etwas dran. Als ein Jahr nach Pulp Fiction David Finchers Film Seven herausgekommen ist, hat man in den Kritiken nur noch sehr wenig über die Gewalt in diesem Film gelesen. Ich musste mir den Weg durch den Dschungel noch mit der Machete frei schlagen. Fincher hatte es da einfacher. Aber die Gewalt, über die wir hier reden, war vielleicht nicht im amerikanischen Mainstream-Kino zu sehen, aber in den Kung-Fu-Filmen und den Spaghetti-Western, die seit den 70ern in den Ghetto-Kinos liefen und mit denen ich groß geworden bin. In diesen Kinos habe ich mir vom japanischen Samuraifilmen über spanische Horrorstreifen bis zu deutschen Sexkomödien alles angesehen.
Sogar Jackie Chan arbeitet mittlerweile mit Digital-Effekten. Warum haben Sie darauf verzichtet?
Ich kann mit diesem Digital-Kram nicht viel anfangen. Manchmal ist es gut gemacht. James Cameron hat die Titanic versenkt. Das war großartig. Einer meiner Lieblingsfilme in diesem Jahr war Terminator 3 . Aber die haben ihre fantastischen Action-Szenen auch tatsächlich mit der Kamera gefilmt und dann erst Digitaleffekte hinzugefügt, um diese Szenen noch zu verbessern. Der andere Kram wie Bulletproof Monk kann mir gestohlen bleiben. Die machen jetzt Filme im Digitalverfahren, die schon vor zehn Jahren in Echtfilm gedreht wurden. Es beeindruckt mich einfach nicht, wenn sich Laurence Fishburne in Matrix digital animiert mit einer Hand an einem fahrenden Zug festhält und mit der anderen seine Gegner abknallt. Ich habe Michelle Yeoh in Police Story 3 gesehen: Die ist tatsächlich mit ihrem Motorrad auf einen fahrenden Zug gesprungen. Und im Abspann wurde gezeigt, wie oft dieser Stunt daneben gegangen ist. Das hat mich beeindruckt. Deshalb war mein Motto in Kill Bill immer: was wir nicht vor der Kamera machen können, lassen wir sein.
Wie kam es dazu, dass der Film in zwei Teilen in die Kinos kommt?
Während der Dreharbeiten kursierten in der Crew schon eine Menge Witze zu dem Thema. Denn normalerweise machen diese Leute in der Zeit, die wir für Kill Bill gebraucht haben, zwei Filme. Irgendwann nach der ersten Sichtung kam Produzent Harvey Weinstein an und sagte: "Ich kann mir nicht vorstellen hier eine Stunde herauszukürzen. Warum schneiden wir den Film nicht in der Mitte durch?" Ich hatte am Anfang schon einmal daran gedacht. Schließlich hatte ich ein 228 Seiten starkes Skript in der Hand ...
...die meisten Filmemacher müssen mit weniger auskommen ...
Ja, aber die meisten Drehbücher in Hollywood sind auch sehr schlecht geschrieben. Zu der zwanzigminütigen Kampfsequenz, in der Uma Thurman gegen Lucy Liu antritt, würde in einem Hollywood-Skript stehen: "Sie betritt das Haus und sieht O-ren Ishii. Sie kämpfen miteinander." Meine Regieanweisungen fallen dann doch etwas ausführlicher aus.
Hätten Sie das Drehbuch anders geschrieben, wenn sie von Anfang an gewusst hätten, dass »Kill Bill« ein Zweiteiler wird?
Vielleicht hätte ich noch ein paar Szenen hinzugefügt. Aber mehr nicht. Ich bin mit dieser Lösung sehr zufrieden. Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, ob das Publikum drei Stunden am Stück ausgehalten hätte. Ich habe damit kein Problem, aber ich bin auch ein Filmjunkie. Leute, die keine Junkies sind, bekämen vielleicht nach drei Stunden eine Überdosis. Ich glaube, nach Kill Bill 1 hat das Publikum sich einfach eine Pause verdient.

Interview: Martin Schwickert