INTERVIEW MIT SAM RAIMI

Einer von uns

Martin Schwickert sprach mit dem »Spider-Man«-Regisseur über dicke Budgets und sensible Hauptdarsteller


Der Film zum Interview

Mr. Raimi, Sie sind seit frühester Jugend ein bekennender Spider-Man-Fan. Was hat Sie an dem Comic-Helden so fasziniert?

Ich habe Spider-Man immer geliebt, weil er ein echter Mensch war. Ein High-School-Kid mit Hautproblemen, immer pleite, unbeliebt in der Schule, kaputtes Elternhaus - das sind viele Eigenschaften, mit denen ich mich identifizieren konnte. Spider-Man war einer von uns und das beste war, dass er auch Mensch blieb, nachdem er seine Wunderkräfte entwickelt hatte.

Sie haben bisher fast ausschließlich Independent-Filme gemacht. Wie groß ist der Druck bei einem solchen Big-Budget-Projekt wie Spider-Man?

Enorm. Denn mir war klar, dass es für die Produktionsfirma Sony ein Wagnis war, einem Regisseur wie mir ein solches Projekt anzuvertrauen. Als der Anruf kam, dass ich den Job habe, dachte ich, die nehmen mich auf den Arm. Das habe ich natürlich nicht gesagt, sondern: Wann fangen wir an?

Einer der Schöpfer der Spider-Man-Comics Stan Lee wird im Abspann als ausführender Produzent aufgeführt. Haben Sie direkt mit ihm zusammengearbeitet?

Nein. Ich glaube, dass wäre nicht gut für mich gewesen. Als Regisseur muss man seinen Film auf seine eigene Weise machen. Trotzdem hatte Stan Lee natürlich einen großen Einfluss auf das Projekt. Der Film beruht auf Ideen aus seiner 40jährigen Arbeit an den Spider-Man-Comics.

Das Treatment zu Spider-Man wurde von James Cameron geschrieben. Dann haben verschiedene Studios zehn Jahre lang um die Rechte gestritten. Was ist von dem Cameron-Entwurf übrig geblieben?

Im wesentlichen zwei Ideen, die von der Comic-Vorlage abweichen: Zum einen wird Peter statt von einer radioaktiven nun von einer genetisch manipulierten Spinne gebissen. Dass erschien uns schlüssig. Denn in den 60er Jahren war die Atomenergie die große technische Unbekannte. Heute ist es die Gentechnologie. Zum anderen hatte Cameron dem Spinnenmann noch eine sechste Wunderkraft angedichtet - die Fähigkeit Netze aus dem Handgelenk in die Luft zu schießen.

Tobey Maguire hat sich in Filmen wie »Der Eissturm« und »Wonderboys« in der Rolle des sensiblen, jungen Mannes etabliert. Wie sind Sie darauf gekommen ihn als Superheld zu besetzen?

Innerhalb der Story war es mir wichtig, die Figur des Peter Parker so realistisch wie möglich darzustellen und Tobey Maguire hat die Fähigkeit, mit dem Publikum auf eine sehr direkte, unverstellte Art in Verbindung zu treten. Er kann das so gut, weil er der Kamera vertraut. Viele Schauspieler haben immer das Gefühl, dass der Kamera etwas entgeht. Aber Tobey ist sich immer bewusst, dass die Kamera eine direkte Verbindung ins Bewusstsein des Publikums herstellt.

Die Kulisse sind die Häuserschluchten von New York. Die Skyline der Stadt hat sich mit dem 11. September dramatisch verändert.

Eine Sequenz haben wir herausgenommen. In dieser Szene flüchten ein paar Bankräuber mit einem Hubschrauber durch die Häuserschluchten New Yorks und werden von Spider-Man in einem Netz gefangen, das zwischen den beiden Türmen des World-Trade-Centers gespannt ist. Die Szene lief als Trailer schon lange vor dem 11.9. in den Kinos und die Kids im Saal johlten und jubelten der Ankunft ihres Comic-Helden zu. Nach der Tragödie des 11.September wollte ich diese Bilder von den Twin Towers, zu denen die Leute applaudiert hatten, nicht mehr im Film haben - aus Respekt vor den Menschen, die in diesen Gebäuden ihr Leben lassen mussten. Aber es gibt Einstellungen, in denen im Hintergrund die Twin-Towers zu sehen sind. Die haben wir mit Absicht drin gelassen.

Was ist mit der Szene, in der die New Yorker Spider-Man im Kampf unterstützen und von der Brücke herunterrufen: Wenn Du Dich mit Spider-Man anlegst, legst Du Dich auch mit uns an?

Die Sequenz war schon vorher geplant, aber noch nicht abgedreht. Wir haben die Szene dann stärker ausformuliert und diese Dialogzeile hinzugefügt. Damit wollten wir versuchen der Stadt ein wenig von dem zurückgeben, was sie verloren hat, und vor den Opfern des 11.September noch einmal den Hut ziehen.