Philip Seymour Hoffman über »Kaltblütig«

WIE EIN RAUSCH
Truman Capotes Dilemma und wie man eine Rolle spielt



Die Kritik zum Film


Mr. Hoffman, Sie haben im Laufe Ihrer Karriere schon einige Exzentriker gespielt. Was war der besondere Reiz an Truman Capote?
In der Zeit, in der unser Film spielt, ist Truman Capote an einem Wendepunkt in seinem Leben und seiner Karriere angelangt. Er wagt sich an eine Geschichte heran, von der er nicht weiß, was sie bei ihm bewirken und wohin sie ihn führen wird. Aber er ist von dieser Geschichte besessen. Dieses Gefühl hatte ich auch, als ich mich auf diesen Film eingelassen habe. Das Gefühl sich an etwas heranzuwagen, das viel mehr ist, als man eigentlich verdauen kann.
Was war das Schwierigste an dieser Rolle?
Ich habe mir ein paar TV-Dokumentationen angeschaut, in denen man sieht, wie Capote zu anderen spricht. Er hatte eine Eindringlichkeit in seinen Worten und in seinem Blick, die die Zuhörer einfach in den Bann schlug. Die Leute hingen förmlich an seinen Lippen. Andererseits war er selbst ein sehr aufmerksamer Zuhörer, bei dem die Menschen die Welt um sich herum vergessen konnten. Diese menschliche Qualität vor der Kamera hin zu bekommen, war ein hartes Stück Arbeit.
Für »Kaltblütig« beschäftigt sich Capote sehr eindringlich mit dem zum Tode verurteilten Mörder Perry Smith. Glauben Sie, dass Capote als Autor und Homosexueller in Smith verliebt war?
Als Capote Perry Smith das erste Mal sah, wollte er ihn am liebsten auffressen. Er wollte diesen Mann haben. Das meine ich nicht unbedingt in sexueller Hinsicht. Capote wollte Perrys Herz, dessen Verstand und dessen Seele erforschen. Er wollte alles über diesen Typen herausfinden. Die Begegnung im Gefängnis hat in Capote eine Flut von Kreativität ausgelöst, die wie ein Rausch war. Ich würde das als Liebe bezeichnen. Ich wäre jedoch sehr vorsichtig damit zu behaupten, dass Capote Perry als Liebhaber begehrte.
Trotzdem nimmt Capote die Hinrichtung von Perry Smith zumindest billigend in Kauf...
Capote wusste, dass er dabei war, das wichtigste Buch seiner Zeit zu schreiben. Spätestens in dem Moment, als er seine ersten Kapitel bei einer Lesung in New York präsentierte und mit Ovationen gefeiert wurde, war ihm klar, was er in seinen Händen hielt. Für dieses Buch würden ihn mehr Menschen bewundern als er aushalten konnte. Es würde ihm großen Respekt und eine Menge Geld einbringen. Und er wusste - bei allem Mitgefühl für Perry - auch, dass die Exekution des Mörders ihm das Finale liefern würde, das er für seine Story brauchte.
Truman Capote hat danach keinen Roman mehr zustande gebracht. Haben ihn seine Schuldgefühle zerstört?
Es war für Capote sehr schwer, sich diesem Teil seines Lebens ehrlich zu stellen. Ein Freund berichtet, dass Capote nach der Exekution von Perry Smith auf dem Rückflug dreieinhalb Stunden ununterbrochen geweint hat. Wir haben versucht im Film zu zeigen, wie er in diesem Moment, als die letzten fünf Jahre an ihm vorbeifliegen, von seiner Selbstreflexion förmlich erschlagen wird. Capote war für Perry die einzige Hoffnung, dass er am Leben bleibt und Capote war es, der von seiner Hinrichtung profitiert hat. Ein solches Dilemma kann man nicht aushalten, und diese Erfahrung hat ihn die nächsten 14 Jahre langsam aber sicher aufgefressen.
Interview: Martin Schwickert