Steven Spielberg über »Tim & Struppi«

Mangel an Persönlichkeit

Steven Spielberg über seinen alten Plan und seinen wichtigsten Film


Der Film zum Interview

Mr. Spielberg, als Regisseur und Produzent sind Sie bisher zu der Welle der Comic-Verfilmungen auf Abstand geblieben. Was hat Sie nun dazu verleitet "Tim und Struppi" zu adaptieren?

Ich hatte mich schon 1983 dazu entschlossen "Tim und Struppi" zu verfilmen, als ich mit Hergé am Telefon darüber gesprochen habe, wie man seine Comics auf die Leinwand bringen könnte. Das war lange bevor Comic-Helden in Hollywood eine feste Größe wurden. Ich mochte die Art, wie diese Comics mit der Realität umgingen. Die Tim und Struppi-Bände sind über die Jahrzehnte ihrer Entstehung hinweg immer sehr zeitgemäß gewesen und wirken trotzdem auch heute noch vollkommen gegenwärtig.

Worin unterscheidet sich Tim von anderen Helden, die in den letzten Jahren die Leinwand erobert haben?

In Hergés Büchern wirkt Tim wie ein Pfadfinder, der von exzentrischen Charakteren wie Kapitän Haddock oder den Detektiven Schulze & Schultze umzingelt ist. Schon alleine durch den Kontrast zu diesen Figuren wird Tim zu einem bescheidenen Helden. Ohne irgendwelche Spezialeffekte und Superheldenfähigkeiten liegt Tims Kraft in seiner Persönlichkeit, oder vielleicht könnte man auch sagen: In dem Mangel an einer eigenen Persönlichkeit.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, den Film im komplizierten "Motion-Capture-Verfahren" zu drehen?

Wir wollten bewusst eine eigene filmische Kunstform entwickeln, die der Kunstform gerecht wird, die Hergé mit Stift und Farbe in seinen Comics kreiert hat. Ich konnte mir nicht vorstellen die Schauspieler mit irgendwelchen Gesichtsprothesen auszustatten, um ihr Aussehen den Comicfiguren anzupassen. Motion-Capture hat uns die Möglichkeit gegeben, so nahe wie möglich an der Comicvorlage zu bleiben.

Trotzdem hat der Film eine ganz eigene visuelle Textuierung...

Wir wollten den Fotorealismus in einen Hyperrealismus überzeichnen. Die schauspielerischen Darstellungen, die Straßen, der Himmel, das Wasser - alles sollte echter als echt aussehen. Durch diese visuellen Stilisierungen sollte unser Film auf eine Ebene mit den stilisierten Darstellungen gelangen, wie sie Hergé in seinen Comicbüchern entwickelt hat.

Besonders imposant ist das Arsenal der riesigen Nasen, das hier im Film aufgefahren wird. Hatten Sie bei der Produktion eine eigene "Nasen-Abteilung"?

(lacht) Nein, auch da haben wir uns von Hergé leiten lassen. In seinen Zeichnungen ähnelt keine Figur der anderen. In Comics setzen die Zeichner oft einen bestimmten Stil für alle Figuren ein. Aber Hergé hat bewusst jede Figur mit ganz eigenen Nasen-, Kinn- und Gesichtskreationen ausgestattet. Keiner hat das so gut gemacht wie er.

"Tim und Struppi" ist der erste Film, den Sie komplett digital gedreht und geschnitten haben. Wie schwer ist Ihnen der Abschied von den Filmstreifen gefallen?

Da habe ich mich einfach mit abgefunden. Eine Technologie zu benutzen, um eine Figur besser entwickeln oder eine bestimmte Authentizität herstellen zu können - das ist völlig in Ordnung für mich. Im Gegenteil: Ich habe jahrelang sehnsüchtig darauf gewartet, dass die Technologie so weit war, dass ich Tim und Struppi so machen konnte, wie ich es mir vorstellte.

Nach der digitalen Revolution folgt nun eine 3D-Aufrüstung in den Multiplexen. Wie, glauben Sie, sieht die Kinokultur in zwanzig Jahren aus?

Vor fünfzig Jahren hätte ich solche Vorhersagen vielleicht noch treffen können. Aber heute mit dem rasanten technologischen Fortschritt und den gravierenden Auswirkungen, die diese Entwicklungen auf die Gesellschaft haben, wage ich keine Prognose. Was in zwanzig Jahren an Werkzeugen verfügbar sein wird, um Geschichten für ein Publikum überall auf der Welt verfügbar zu machen, ist jenseits unserer heutigen Vorstellungskraft.

Wenn Sie auf Ihr eigenes Werk zurückblicken. Welcher Film ist Ihnen persönlich am wichtigsten?

Es ist natürlich nicht an mir, zu entscheiden, welcher meiner Filme der wichtigste ist. Aber Schindlers Liste hat auf jeden Fall sehr viel Gutes in der Welt bewirkt. Durch den Film konnte die Shoah-Foundation gegründet werden, die über 50.000 Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden aufgezeichnet hat. Schindlers Liste hat viel in Gang gesetzt, das weit über die normale Wirkung und Lebenserwartung eines Filmes hinausgeht.

Zurzeit drehen Sie gerade einen Film über Abraham Lincoln. Was treibt Sie immer wieder zu historischen Themen?

Ich lese sehr viele Geschichtsbücher und die Auseinandersetzung mit historischen Themen bringt mich immer wieder auf den Boden der Realität zurück.

Interview: Martin Schwickert