INTERVIEW MIT CHARLIZE THERON


Mit Mitleid

Über ihre Rolle in Monster



Mrs. Theron, war diese Rolle, in der Sie allen Glamour radikal abgeworfen haben, für Sie als Schauspielerin ein Befreiungsschlag?
Ich habe nicht unbedingt auf eine Rolle gewartet, in der ich nicht schön aussehen muss. Aber ich hatte einen starken Hunger nach einem Drehbuch, das mich wirklich herausfordert. Als ich das Skript las, wusste ich noch gar nicht, wie Aileen Wuornos aussah. Mich hat die Geschichte interessiert, weil sie sehr konfliktgeladen und konfrontativ ist. Was das körperlich für mich bedeutet, habe ich erst sehr viel später realisiert.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe mir mehrere Dokumentationen und die Videos der Gerichtsverhandlungen angesehen. Aber am wichtigsten waren die Briefe, die Aileen Wuornos aus dem Gefängnis an eine alte Schulfreundin geschrieben hatte. Bis zum Ende blieb Aileen ein Mensch, der auf der Straße gelebt hatte und niemanden wirklich vertraute. In diesen Briefen öffnete sie sich als eine Person, die seit zwölf Jahren auf ihre Hinrichtung wartete und nichts mehr zu verlieren hatte.
Wie wurde der Fall in den USA wahrgenommen?
Die öffentliche Wahrnehmung von Aileens Geschichte war von zwei Extremen bestimmt. Die einen sahen in ihr ein Monster. Die anderen blickten voller Mitleid auf eine Frau, die in ihrer Kindheit missbraucht wurde. Patty Jenkins hatte einen sehr hohen Anspruch an das Drehbuch, das sich um eine Wahrheit jenseits dieser beiden Extreme bemüht.
Ist dies eine Rolle, deren Last man nach Drehschluss mit nach Hause nimmt?
In den zehn Jahren, in denen ich jetzt in diesem Geschäft bin, habe ich gelernt, in eine Rolle einzutauchen und nach dem Dreh vom Set zu gehen und mein eigenes Leben zu leben. Ich bin da sehr diszipliniert. Deshalb habe ich auch weniger Widerstände, mich auf eine solche Rolle einzulassen. Denn ich weiß, dass nicht für immer an diesem dunklen Ort gefangen bin.
Haben Sie am Ende des Films Sympathie für Aileen Wuornos empfunden?
Sympathie ist das falsche Wort. Durch die intensive Auseinandersetzung habe ich ein starkes Mitgefühl für Aileen entwickelt. Aber das heißt keineswegs, dass ich darüber hinwegsehe, was sie getan hat. Aileen war sechs Monate alt, als ihre Eltern sie ausgesetzt haben. Sie wuchs bei ihren Großeltern auf, wurde mit 13 vergewaltigt und bekam ein Kind. Sie war obdachlos und hat es immer gerade so geschafft zu überleben. Das sind denkbar schlechte Vorraussetzungen für einen Menschen.
Hat dieser Film Ihre Sicht auf die amerikanische Gesellschaft verändert?
Ich bin in Südafrika aufgewachsen und habe ein starkes Bewusstsein für kulturelle und soziale Widersprüche. Mein Land ist voll damit. Aber trotz dieser Sensibilität hat mir die Arbeit an diesem Film vor Augen geführt, in welcher Verzweiflung viele Menschen in unserer Gesellschaft leben müssen und wie blind wir für die Schwierigkeiten dieser Leute sind. Das Wort obdachlos bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man sich einmal hinzusetzt und wirklich darüber nachdenkt, was es heißt, unter einer Autobahnbrücke zu schlafen und nicht zu wissen, ob man am nächsten Morgen noch aufwacht.
Betrachten Sie den Film auch als ein Statement gegen die Todesstrafe?
Ich bin nie für die Todesstrafe gewesen und die Arbeit am Film hat mir noch einmal vor Augen geführt, wie ineffektiv die Todesstrafe ist. Wenn man Menschen verdammt, die einen Mord begangen haben, und sie dann selbst ermordet - damit sendet man einfach nicht die richtige Botschaft nach draußen.
Wie schwer ist Ihnen die körperliche Verwandlung gefallen?
Das war immer sekundär für mich. Unser Job als Schauspieler ist es, Geschichten zu erzählen, und dafür muss man sich emotional und körperlich verwandeln. Es geht dabei nicht um mich, sondern um die Rolle. Ich denke nicht darüber nach, ob die Leute mich hässlich finden. Diese Angst muss man einfach abstreifen.
Bisher waren Sie auf das Image der schönen Blondine festgelegt ...
Niemand außer Patty Jenkins hat mir diese Rolle zugetraut. Für mich war es eine große Chance aus der Kiste herauszukommen, in der ich den letzten zehn Jahren gefangen war. Für bestimmte Rollen musste ich immer kämpfen, weil die Studios gesagt haben, dass ich zu hübsch bin, um z.B. eine Hausfrau aus dem Süden zu spielen. Als Patty Jenkins mit der Rolle zu mir kam, wollte ich es zuerst gar nicht glauben.
Und jetzt haben Sie mit der Rolle den Oscar gewonnen ...
Ja, das ist wirklich eine abenteuerliche Reise. Vor einem Jahr haben wir noch in Orlando im Dreck gestanden und waren fest davon überzeugt, dass sich niemand unseren Film anschauen will. Aber das sind Dinge, die man selbst nicht unter Kontrolle hat. Man muss dafür sorgen, dass man den Film macht, den man machen will. Die Erfahrungen, die man dabei sammelt, sind die eigentliche Belohnung.

Interview: Martin Schwickert