HANS WEINGARTNER ÜBER »FREE RAINER«

Alles Deppen

Warum Fernsehen blöd macht


Der Film zum Interview


Woher kommt die Abneigung gegen das Medium Fernsehen?
Es ist keine Abneigung gegen das Medium selbst, sondern gegen die Inhalte. Ich befürchte, wenn wir uns weiterhin dem geistigen Verfall hingeben, dann wird das schlimme Konsequenzen haben.
Welche Konsequenzen befürchten Sie?
Der Verlust von Werten wie Nähe, Nächstenliebe und Respekt und den Verlust von Demokratie. Unsere Republik basiert auf mündigen und gut informierten Bürgern. Wenn das Volk vollkommen ungebildet ist, dann wird es zur gefährlichen Masse, die in jede Richtung bewegt werden kann. Und wir haben in der Geschichte oft genug erlebt, wohin das führen kann. In den USA ist die gesellschaftliche Spaltung zwischen einer gebildeten Elite und einer unwissenden gesellschaftlichen Masse schon vollzogen, und man sieht, wie leicht sich das Volk von der Regierung hat einreden lassen, dass es in einen Krieg ziehen muss, der der sinnloseste und unmoralischste Krieg in diesem Jahrhundert ist. Aber solange 20 Prozent der Amerikaner die USA nicht auf der Landkarte finden, hat Bush leichtes Spiel.
Naja, bei uns gibt es auch Sender wie 3SAT und Arte...
Dennoch treibt auch bei uns das Medium, das uns so wunderbar informieren könnte, in die geistige Umnachtung. 3Sat und Arte - das sind Programme für das gebildete Bürgertum. Es ist gut, dass es diese Sender gibt. Aber was wir eigentlich brauchen, ist ein Informations- und Kulturprogramm, das auch jemand versteht, der nicht studiert hat. Das Absurde ist ja, dass wir mit dem öffentlich rechtlichen Fernsehen eigentlich ein unheimlich starkes Werkzeug haben, das dazu geeignet ist, die Boulevardisierung der Medien aufzuhalten. Aber die Senderchefs von ARD und ZDF jagen genauso der Quote nach wie die Privaten.
Der ehemalige SAT1-Chef Roger Schawinski hat beschrieben, wie ambitionierte Fernseh-Projekte vom Quotenpublikum regelrecht abgewählt werden.
Man kann nicht den Geschmack der Leute jahrelang verderben und dann erwarten, wenn man zwischendurch einmal etwas Komplexes anbietet, dass sie das verstehen und mögen. Die Sehgewohnheiten müssten langsam wieder verändert werde. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass die Quote nicht stimmt. Die Randbereiche der Gesellschaft werden gar nicht wahrgenommen. Leute etwa, die keine GEZ bezahlen oder keinen Festnetzanschluss haben, werden gar nicht erfasst. Die Werbewirtschaft hat an diesen Leuten kein Interesse und so setzen sich durch die Quote nur noch normierte Sachen durch. Die Quote wird seit 30 Jahren wie ein Orakel angebetet, aber wenn wirklich alle nur diesen Schwachsinn sehen wollen, warum gehen dann 900.000 in einen Film wie "Die fetten Jahre sind vorbei"?
Trotzdem bleibt die Frage bestehen, warum sich das Publikum drittklassige Game-Shows überhaupt ansieht?
Meine Theorie ist, dass man Fernsehen wie eine Droge behandeln muss. Es gibt ja die Erkenntnisse der Hirnforschung, die belegen, dass beim Fernsehen der Bereich im Gehirn, in dem das höhere Bewusstsein sitzt, unterversorgt ist. Viele psychologische Studien haben gezeigt, dass audiovisuelle Medien wesentlich unkritischer wahrgenommen werden als Inhalte in gedruckter Form.
Sie haben den Film ohne Fernsehgelder produziert, was nur noch selten vorkommt. Wollten die nicht oder wollten Sie nicht?
Ich wollte keinen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender drin haben, weil ich bei Die fetten Jahre sind vorbei schlechte Erfahrungen gemacht habe. Nicht mit der Redakteurin, sondern mit dem Chef, der inhaltlich einzugreifen versuchte. Der wollte doch tatsächlich durchsetzen, dass die drei Hauptfiguren am Schluss in den Knast kommen.
Glauben Sie, dass ein paar Menschen, nachdem sie "Free Rainer" gesehen haben, ihren Fernseher aus dem Fenster werfen?
Davon bin ich überzeugt und ich hoffe, dass sie davon Fotos machen.

Interview: Martin Schwickert