WONG KAR WAI

Ständig bereuen
Über seinen Film 2046


Tony Leung spielt wieder die Hauptrolle, und einige Motive aus In the Mood for Love sind wieder präsent.
In the Mood for Love war ein Film über das Verschwinden. 2046 ist in gewisser Weise ein Film über das Wiederbegegnen. Für mich ist 2046 das eigentliche Hauptgericht und In the Mood for Love eher das Entreé. Die beiden Filme sind miteinander verbunden, haben aber unterschiedliche Herangehensweisen.
Die Hauptfigur ist in ihrer eigenen Vergangenheit gefangen...
Zukunft und Vergangenheit sind für Chow eine Flucht. Er hat wenig Spaß am Leben und ist nicht in der Lage, eine Liebesbeziehung aufzubauen. Er ist von seiner Vergangenheit besessen. Aber die Vergangenheit kann man nicht kontrollieren. Deshalb will er sich selbst in der Zukunft erlösen, indem er eine Geschichte erfindet. Die Zukunft ist nur eine Plattform für ihn, auf der er sein eigenes Leben in eine bestimmten Ordnung bringen kann.
Aus dem westlichen Kino ist die Sehnsucht eher verschwunden.
Bevor man jemanden liebt, sehnt man sich nach ihm. In den meisten meiner Filme geht es um den Prozess des Verlangens und der Liebe. In 2046 hingegen geht es eher um die Nachwirkungen der Liebe - wie man mit Verlust umgeht und wie man versucht, Ersatz zu finden.
Sie haben einmal gesagt: Liebe ist eine Frage des Timingsà
Unser ganzes Leben ist eine Frage des Timings. Dass wir einem Menschen mehr Beachtung hätten schenken sollen, realisieren wir erst, wenn es zu spät ist. Wir bereuen ständig.
2046 ist wieder in den 60ern angesiedelt. Was verbindet Sie mit dieser Zeit?
Ich mag diese Zeit sehr gerne. Ich bin als Fünfjähriger in den 60ern von Shanghai nach Hongkong gekommen, das war für mich eine völlig neue Erfahrung. Die unterschiedliche Lebensart, die Musik, das hat mich damals sehr beeindruckt. Aber als Zeithintergrund sind die 60er in diesem Film weniger wichtig als in In the Mood for Love. Hier geht eher um die mentale Reise eines Mannes zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Sind Sie ein nostalgischer Mensch?
Sind wir das nicht alle? Wenn wir älter werden, verlieren wir Dinge, die wir mögen. Das macht uns nostalgisch.
Sie arbeiten meistens ohne festes Drehbuch. Wie gehen die Schauspieler mit dieser Unsicherheit um?
Viele Entscheidungen treffe ich erst im letzten Moment, beim Drehen oder im Schnittraum. Die Schauspieler kennen ihre Geschichte, aber nicht den gesamten Kontext. Sie müssen sich in ihre Figuren einarbeiten und einen eigenen Weg finden, weil sie nicht das ganze Bild sehen.
Beschreibt das auch Ihr Lebensgefühl als Filmemacher in Hongkong?
Die Filmindustrie Hongkongs hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Wir hatten einen sehr stabilen Markt in Südostasien. Aber nach der Börsenkrise ist dieser Markt kollabiert. Die US-Filme werden immer stärker, und die Hongkong-Industrie sucht nach neuen Wegen. Es kostet sehr viel Zeit und Flexibilität, die Finanzierung eines Filmes auf die Beine zu stellen. Filme wie Hero, Crouching Tiger oder Flying Daggers - das sind pan-asiatische Produktionen, und in meinem Film steckt Geld aus Hongkong, China und Europa. Der chinesische Markt ist jetzt sehr wichtig für Hongkong geworden. 2046 ist zwei Monate nach dem Hongkong-Start auch auf dem chinesischen Festland in die Kinos gekommen.
Wie unterscheiden sich die Reaktionen des Publikums?
Die chinesischen Zuschauer sind mehr an der Geschichte interessiert. Genau wie beim europäische Publikum geht es hier nicht nur um Unterhaltung. Die Leute in China sind sehr belesen und daran interessiert, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Die Offenheit des Films ist für sie ein große Überraschung. Noch vor zwei Jahre wäre so etwas nie in China gezeigt worden. Allein schon wegen der Liebesszenen. Dass so ein Film heute in China in die Kinos kommt, ist eine Botschaft an das Publikum für die liberalere Vorgehensweise der Zensurbehörden. Gleichzeitig will die chinesische Regierung mit dieser Offenheit die eigenen Filmemacher anregen, mit dem Hongkong-Kino in Wettbewerb zu treten.
@body ohne =Ihr cineastischer Stil wurde sowohl im asiatischen als auch im westlichen Kino oft kopiert.
In der hundertjährigen Geschichte des Films haben sich Filmemacher immer gegenseitig beeinflusst. Es ist nur ein Prozess, und am Ende entsteht daraus vielleicht etwas eigenes. Ich empfinde es als große Ehre, wenn Andere von meinen Filmen inspiriert werden.

Interview: Martin Schwickert