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»STUMME ZEUGIN«

Peeping Igor

Ein deutsch-russisch-englischer Thriller über Kino und Gucken

Eigentlich dürfte man von der Handlung fast gar nichts verraten; erstens weil es eh nicht allzuviel davon gibt, zweitens weil der Hauptspaß ist, wie gewisse Handlungen im Lichte einer anderen Szene als andere Handlungen erscheinen. Morde als Filmtricks und umgekehrt, zum Beispiel. Aber auch das Zuziehen einer Gardine vor dem Blick eines Spanners: beim erstenmal zeigt sich das Opfer nur achselzuckend unaufgeregt routiniert (Marina Sudina, die Sandra Bullock des russischen Films), beim zweitenmal zieht ihr womöglicher Mörder den Vorhang vor, um einen Zeugen zu vermeiden - den dazwischen sie, stumm, nackt und panisch mit dem Bademantel wedelnd auf ihre neue Opferrolle aufmerksam zu machen suchte.
Aber da ist der Film schon fast zu Ende. Am Anfang fängt erstmal ein anderer an, ein ganz mieses Metzel-Stück. Das entpuppt sich schnell als Film im Film. Ein amerikanisches Team dreht den mit russischer Mannschaft in den billigen, heruntergekommenen Mosfilm-Studios, alles dolmetscht und mißversteht wild durcheinander und die Trick-Frau ist stumm. Weshalb sie eines nachts, zufällig im Studio eingeschlossen, etwas beobachten muß, was sie für einen illegalen Snuff-Film hält, incl. Beischlaf- Mord. Es folgt eine lange lange Jagd durch das atmosphärestarke Gebäude, ständig liegen russische Dialoge über den Bildern und die Heldin kann nur verzweifelt gucken, weil sie ja stumm ist. Das zerrt ziemlich an den Nerven.
Der ganze Film spielt in dieser Nacht (leider verpaßt er, den Showdown aufs Morgengrauen zu legen), aber gedreht wurde er 10 Jahre lang. 1985 schon schoß der damalige Fernseh-Bildmischer Anthony Waller einen Gastauftritt für sein geplantes Kino-Debüt: ein berühmter Brite sitzt im Rolls Royce, mimt halbschattig den Ober-Boß und fragt immer wieder "Ist sie außer Gefahr?". Die richtigen Dreharbeiten begannen dann, mit einem deutsch/russischen Team, am Tag als Jelzin sein Parlament stürmte. Was die Irritation nur steigert: sind die Polizisten Polizisten, sind die Toten tot? Nicht alle, nicht in jedem Fall.
Der rote Faden (Snuff-Mafia sucht geklaute Belastungs-Diskette, Under Cover Ermittler holt sie, Trickfrau taumelt zwischen den Fronten) verläuft sich dabei in den Bildern wie das Kunstblut, dessen Anwendungsmöglichkeiten uns mehrfach intensiv vorgeführt werden. Die Debüt-Manierismen des Regisseurs aber fügen sich erstaunlich bündig ins brüchige Moskau-Ambiente (eine per Rückfahrzoom gedehnte Verfolgungsjagd, eine Vision im super-slo- mo fallenden Wassertropfen aus dem Badewannenhahn ...) und die beständige Suche des Drehbuchs nach Hitchcock-Szenen bringt Amüsement in den Terror: oben stampft die Stumme auf den Boden, um Hilfe zu rufen, unten klopft ein gestörter Mieter mit dem Besen an die Decke, um Ruhe zu haben - als er schließlich stocksauer hochkommt, trifft er auf drei Leichen und zwei mit Pistolen fuchtelnde Unbeteiligte, während die Stumme schon wieder unterwegs zu neuen Verwirrungen ist.
Noch eine Verwirrung: der angeflanschte "Original"-Titel "mute witness". Immerhin stammt das halbe Team, die ganze Musik (Sonderpreis für Spannungs-Orchester) und 1/3 des Etats aus Deutschland. 2/3 des Textes dagegen stammen aus Russland. Und bleiben unübersetzt. Das wirkt enorm verunsichernd, wenn man keinen Dolmetsch bei der Hand hat. Aber Kino geht nun mal mit Bildern. Und Gesichtern/Körpern. Und die sind, bis auf den adligen Gaststar, allesamt unbekannt - aber allemal das Hinsehen wert.

WING