Die kleine Krimi-Rundschschau 60. Folge


und hier die vorherige-Ausgabe

Mit seinen semi-dokumentarischen Kurzgeschichten aus der Welt der Verbrechen hat sich der Anwalt Ferdinand von Schirach ziemlich an die Spitze der deutschen Autoren geschrieben, was auch etwas über die Konkurrenz aussagt. Carl Tohrbergs Weihnachten, ein schmales Bändchen in rotem Leinwand und daher auch gut als Geschenk geeignet, enthält mehr vom Immergleichen: In karger, scheinbar mitleidsloser Sprache wird in drei Geschichten jeweils die Biografie eines Menschen ausgebreitet, der stolperte. Dass das Stolpern immer im Lebensweg der Personen angelegt zu sein scheint, ist die Dauerpointe in von Schirachs Geschichten. Ob es der korrekte Richter ist, der in einem asiatischen Puff endet, oder Jugendfreund Tohrberg, der zu Weihnachten ausrastet und seiner Mutter mit der Gabel Zuleibe rückt - es ist meistens das eruptive, das schnelle Verbrechen, das Schirach für seine Erzählungen nutzt; bei ihm ist alles Leiden und Leidenschaft. Die leidenschaftslose Sprache kontrastiert dabei sehr fein die Inhalte. Die Dramen haben keine sprachliche Entsprechung. Das macht den Reiz der von Schirach'schen Geschichten aus, die ein bisschen an den Nachkriegs-Böll erinnern, in ihrer Schlichtheit und ihrem bisweilen schwachen Satzbau.

Eine drastische Kurzgeschichte über einen schwulen Mafioso, der alle Spuren seiner Sexualität verwischt: Der Verstoß ist ein kurzes, hartes Stück Literatur über eine geschlossene Gesellschaft, die keine Abweichung duldet. Weil die 86 Seiten von L.R. Carrino dem Verlag wohl zu dünn waren, folgt eine fast ebenso lange Analyse der Story, die erheblich mehr entdeckt haben will als uns auffiel.

Sein Name ist Fleming, Ian Fleming, und er hat den dauerhaftesten Helden der Neuzeit erfunden. Mit nur 12 Romanen zementierte er ein Erfolgsmodell, das die Sowjetunion und den Feminismus überlebte, über 20 Filme antrieb und Generationen von Deutschlehrern zur Verzweiflung trieb. Denn Ian Fleming ist kein leserlicher Literat, James Bond ist kein lehrreicher Held, und im groben Ganzen passiert in Diamantenfieber dasselbe wie in Casino Royal oder Moonraker. Trotzdem ist es gut, die ungekürzten Neuübersetzungen zu haben, die der CrossCult Verlag seit ein paar Monaten Stück für Stück heraus bringt. Die Originale unterscheiden sich nämlich nicht nur erheblich von den Filmen, die zuweilen von der Vorlage nur den Titel übernahmen, sondern auch von den bisher bekannten, oft auf die spannenden Stellen gekürzten, Buchausgaben. Da kriegt ein Bond-Girl plötzlich einen Anflug von Charakter und Bond etwas Schweres, Robert Mitchum-artiges in einer eigenartigen alten Welt voller Plattenspieler und Doppeldecker-Passagierflugzeuge. Mit einem schönen weisen, resignierten Schlusssatz über das Leben: "Es hört sich besser an als es ist."

Liaty Pisani gilt seit einigen Jahren als italienischer John Le Carre und ihr Dauerspion Ogden als der bessere, zeitgemässere James Bond. Immerhin hat er ein Gewissen, auch wenn er für einen übermächtigen Geheimdienst arbeitet, der im Auftrag einer hypergeheimen "Elite" weltweit die seltsamsten Jobs erledigt. In Die rote Agenda. Der Spion und der Pate geht es einerseits um die Mafia und den wirklichen Fall der Ermordung des Richters Paolo Borsellino - und andererseits um ein erfundenes Manuskript im Nachlass des Sherlock Holmes-Vaters Conan Doyle. Schnell stürzen ganze Stapel von Verbrecherorganisationen, Diensten und Schlägern übereinander, der Plot wird schneller kompliziert als ein Telegramm von London nach Rom braucht und am Ende kriegt gar der Präsident der Republik - na, sagen wir mal: ein Ende, das Ian Fleming seiner Königin nie angetan hätte. Pisani ist gegenwartsnah und so romantisch wie zynisch. Ein alternder Mafiaboss, ein Unterlegener früherer Flügelkämpfe, will Material veröffentlichen, das endlich die Reichweite des Verbrechens öffentlich macht. Aber nicht nur Drahtzieher und Korrumpierte, Mörder und Nutznießer sind dagegen.

Eva Maria Staal ist das etwas martialische Pseudonym einer Dame, die einst Waffenhändlerin gewesen sein soll und sich jetzt zur Ruhe gesetzt hat. Ihr Roman Die Waffenhändlerin handelt von einer Waffenhändlerin, die sich zur Ruhe gesetzt hat und jetzt rückblickend ihr Leben beschreibt und wie man in pakistanischen Knästen oder indischen Krankenhäusern verlorengehen kann und wie sexuelle Gewalt bei schwierigen Verhandlungen funktioniert oder eben auch nicht. Gegen diese kurzen, präzisen Erinnerungskapitel hat die Autorin ihren Alltag in der Gegenwart gestellt: Kind zur Schule bringen, füttern, kochen, putzen... diese Buchteile sind leider so langweilig geschrieben wie sie klingen.

Colin Fischer ist 14 und leidet unter dem Asperger Syndrom, einer abgeschwächten Autismus-Variante, deren Träger durchaus ins Geniale lappen, sozial aber einige Defizite aufweisen. Deshalb führt Colin Fischer ein Notizbuch bei sich, worin alle Gesichtsausdrücke beschriftet sind und wo er festhält, was er heute beobachtet hat und wie er das interpretiert. Seine präzise Beobachtungsgabe, sein fantastisches Gedächtnis und seine Leidenschaftslosigkeit machen ihn zum perfekten Detektiv. Ashley Edward Miller und Zack Stentz haben Fischer deshalb in ihrem Debut-Roman Der beste Tag meines Lebens keine Aufzeichnungen aus dem Alltag eines Asperger-Patienten gemacht (obwohl das ganze Buch sich um diese Krankheit dreht), sondern eine US-Variante von Kalle Blomquist. Eines Tages geht in der Kantine von Colins Highschool ein Revolver los. Als er falsche Verdächtige suspendiert werden soll, mischt sich Colin in die Ermittlungen ein, die ihn immerhin ins Haus eines gefährlichen Drogendealers und in die Fänge der Schul-Bullys geraten lassen. Neben der gut konstruierten Handlung und dem eminent witzig erzählten Familienleben der Fischers - vom eifersüchtigen kleinen Bruder bis zur souveränen Mama, die während des Wäschefaltens am Telefon Raketenstarts diskutiert (Mama arbeitet bei der NASA) - ist Colin Fischer (so der schlichte Originaltitel) auch ein Buch der zusammengetragenen Erkenntnisse, etwa über den Entdecker der Krankheit, den Österreicher Dr. Asperger, der seine Patienten vor den Nazis schützte, auch indem er sie wohl genialer machte als sie ware (tödlichen Urteil "unwertes Leben" zu bewahren.

Endlich mal was Neues: Glaube Liebe Mafia - Ein Fall für Josif Bondar hat mit dem Ex-Afghanistankämpfer und Ex-KGBler Josif Bondar einen Helden, der mitten in Köln als Privatdetektiv arbeitet, mit den üblichen Problemen (kein Geld, böse Auftraggeber) aber interessanten Varianten. Er weiß, dass er nur so weit gehen kann, wie die örtliche Russen-Mafia ihn lässt. Als er in die Ermittlungen um einen Theaterbrand hineingezogen wird, scheinen seine finanziellen Sorgen endlich ein Ende zu haben. Andererseits tritt er dabei Leuten auf die Füße, die man niemals verärgern sollte. Mark Zak hat einen lockeren, aber nicht zwanghaft witzigen Tonfall für seinen Helden gefunden, an manchen Details muss er noch arbeiten (die exhibitionistische und ständig nackte Sekretärin ist ein bisschen zu schräg), aber im Großen und Ganzen geht das in eine für deutsche Krimis seltene Richtung: Unterhaltsam, gut geschrieben und mit einem etwas konstruierten, aber einleuchtenden Plot.

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Ferdinand von Schirach: Carl Tohrbergs Weihnachten Piper, München / Zürich 2012, 59 S., 8,99 / L.R. Carrino: Der Verstoß Aus dem Italienischen von Klaudia Ladurner. Pulp Master, Berlin 2013, 124 S., 11,80 / Ian Fleming: Diamantenfieber Übersetzt von Stephanie Pannen und Anika Klüver. CrossCult, Ludwigsburg 2012, 326 S., 12,80 / Liaty Pisani: Die rote Agenda. Der Spion und der Pate Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann. Diogenes, Zürich 2013, 408 S., 16,90 / Eva Maria Staal: Die Waffenhändlerin Aus dem Niederländischen von Ilja Braun, Arche, Zürich / Hamburg 2013, 252 S., 19,95 / Ashley Edward Miller / Zack Stentz: Der beste Tag meines Lebens Aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner. Droemer, München 2012, 228 S., 14,99 / Mark Zak: Glaube Liebe Mafia - Ein Fall für Josif Bondar Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 187 S., 7,90