Die kleine Krimi-Rundschschau 61. Folge


und hier die vorherige-Ausgabe

»Er hasste es, vor dem Frühstück zusammengeschlagen zu werden.« (Lavie Tidhar: Osama)

Gun Machine fängt etwas schwafelig an, steigert sich aber, wie bei Warren Ellis üblich, in einen ziemlich durchgeknallten Plot: Durch Zufall entdeckt ein Detektiv der New Yorker Polizei ein Appartement, in dem sich Waffen zu Dutzenden unaufgeklärter Morde befinden. Weil seine Chefin ihn hasst (meint er) und weil er als Cop sowieso nicht mehr viel taugt (meinen alle Anderen) soll er die Geschichte dieses Zimmers recherchieren - und vor allen Dingen dessen Besitzer ausfindig machen. Der streift derweil durch die Stadt und fühlt sich als Indianer, dem man die Insel Manhattan gerade für ein paar Glasperlen abgekauft hat. Schnoddrig, witzig und prall ist diese Geschichte, die zum Ende hin immer besser wird (und doch sehr konventionell endet). Die detaillierten Angaben zu verspritzender Hirnmasse und gebrochenen Knochen muss man in US-Krimis inzwischen wohl einfach mitnehmen.

Nachdem er jahrelang als Berater auf dem Balkan gearbeitet hatte, verspürte der Schwede Magnus Montelius den dringenden Wunsch, einen Roman zu schreiben: "Mannen från Albanien" erschien 2011 in einem Kleinverlag und wurde ein Überraschungserfolg. Auf Deutsch hat jetzt Piper den Thriller unter dem Titel Ein Freund aus alten Tagen herausgebracht. Die Geschichte spielt 1990, als der Ostblock zusammenbrach. Eines Tages liegt ein Mann mit albanischem Pass tot in den Straßen Stockholms. Dass dessen Geschichte von einem abgehalfterten Journalisten recherchiert wird, ist wahrlich kein origineller Einfall. Trotzdem ist der an le Carré geschulte Thriller recht spannend, da es zwar vordergründig darum geht, ob in Schweden seit Jahrzehnten ein Spion an höchster Stelle sitzt. Eigentlich aber geht es um den Aufbruch Mitte der 60er Jahre, als die Linke noch glaubte, jetzt werde es was mit der gesellschaftlichen Veränderung und wo die Spaltung und Irrtümer bereits unvermeidlich waren. Größtenteils besucht Tobias Meijtens, ein eigentlich unerfahrener Zeitungsschreiber, Zeitzeugen von damals und lässt sich erzählen wie das war, als die russische und die chinesische Fraktion aufeinander losgingen. Das ist mit viel Liebe fürs Zeitkolorit und mit noch mehr Liebe fürs Detail aufgeschrieben. Und erstaunt an vielen Stellen, auch weil Schweden in den 60ern ein Land war, in dem Ex-Kommunisten in den diplomatischen Dienst aufgenommen wurden.

Sam Millar gehört zu jener Autorenschule, in der man Plot- und Schreibschwäche gerne durch Brutalität wettzumachen versucht. In Die Bestien von Belfast haben wir deshalb gleich mehr mehrfach das Vergnügen, den Tod eines Menschen aus den Augen der Sterbenden heraus mitzuerleben. Auch Folterexzesse, Vergewaltigung und Leichenschändung kommen nicht zu kurz. Dafür ist die Mordgeschichte, in der Detektiv Karl Kane ermittelt (wenn er nicht gerade seine Assistentin vögelt oder saucoole Bemerkungen macht) ganz ungeheuer verwickelt. Es geht um tote Gefängnisaufseher, Drogen, Prostitution und vor allem um Männer, die vollkommen ohne Motivation oder Erklärung zu den schrecklichsten Taten fähig sind. Dass Autor Millar selbst eine Karriere als Gangster hinter sich hat, mag die Herangehensweise erklären. Warum so ein Zeug einen Verleger findet, nicht.

Bevor er der König der Drogen-Krimis wurde, hat sich Don Winslow eher unsicher durchs Genre bewegt: Manhattan erschien 1996 und liest sich, als habe le Carré ein Drehbuch für Mad Men geschrieben. Ende der 50er quittiert der CIA-Agent Walter Withers den Dienst und fängt als Privatermittler in New York bei einer großen Firma an. Dort führt ihn ein Auftrag zu einem jungen Senator, der demnächst wohl mal Präsident werden wird, eine vollbusige blonde Geliebte hat (die Schauspielerin ist, wenn auch eine schlechte) und einen zornigen Bruder, der seine Kampagne leitet. Eines Tages ist die blonde Geliebte tot, jede Partei glaubt, die andere habe sie ermorden lassen. Die halbherzigen Parallelen zu Kennedy sind nur eine Schwäche des Romans, der sehr weitschweifig und bisweilen bräsig seinen Plot entwickelt. Dafür sind die letzten 100 Seiten allererste Sahne. Wie Winslow da alle Fäden zusammenführt und trotzdem ein überraschendes Ende hinlegt, lässt die Klasse erkennen und den lakonisch knappen Tonfall, die seine Romane wie Kings of Cool oder Zeit des Zorn auszeichnen.

Die Affäre Mollath ist mittlerweile in aller Munde. Sogar in bayerischen Bierzelten macht man schon Witze darüber, dass seit sieben Jahren ein Bankenkritiker zwangspsychiatrisiert wird. Oder eine Justizministerin scheinbar nichts dabei findet, einen angeklagten Ehefrauenwürger wegen erwiesener Schuldunfähigkeit und wahnhafter Tendenzen freizusprechen, obwohl die von ihm beschuldigte Bank die "verrückten Vorwürfe" längst als in der Sache richtig erkannt hatte. Keinem Krimi würde man so gravierende Schlampereien von Juristen und Forensikern abkaufen, wie sie im Fall Gustl Mollath anscheinend üblich waren. Und vollends unglaubwürdig wird die Geschichte mit den letzten "bunten" Aktionen der unübersichtlichen Unterstützer-Szene. Haben Freunde oder Feinde ein Fax gefälscht, das neulich die Freilassung des Sicherheitsverwahrten anordnete? Nutzt oder schadet es dem beantragten Wiederaufnahmeverfahren, dass Nina Hagen auf "Free Gustl"-Demos auftritt und der Spiegel zusammen mit dem nordbayerischen Kurier als letztes Medium daran festhält, dass die Vorwürfe gegen Mollath durchaus zutreffen könnten, auch wenn seine Vorwürfe gegen Bank und Bürokratie stimmen. Auf jeden Fall nützt Uwe Ritzer / Olaf Przybillas: Die Affäre Mollath. Der Mann, der zu viel wusste der Orientierung in Sach- und Stimmungslage. Die Autoren schildern weit ausholend das Leben Mollaths, seine durchaus seltsame Karriere vom fanatischen Ferrari-Restaurator zum moralischen Rigoristen, der sich beim Papst über den Krieg beschwert und sich als letztes Bollwerk der Wahrheit sieht. Chronologisch rollen sie dann den Fall auf, der mit einer früh zerrütteten Ehe begann und immer tiefer in einen Sumpf aus persönlichem Fehlverhalten und Systemversagen führt. Ritzer/Przybilla sind vorsichtig parteilich, enthalten sich eines Schluss-Urteils über Wahn und Wahrheit, deuten aber doch verschwörungsmunkelnd an, es könne jeden treffen. Hier zermahle der Apparat einen Störenfried, und gebe nicht mal zu, dass er ein Apparat sei.

Allmen zum Dritten. Der verarmte Adlige, den sich Martin Suter vor Jahren ausgedacht hat, um durch seine Augen die bessere, beziehungsweise teurere Gesellschaft und ihre Kunstdiebstähle geradezu altmodisch mit der Zunge schnalzend zu beschreiben, sucht jetzt ein Gemälde. Und findet es. Sehr viel mehr passiert immer noch nicht, auch wenn sich seit Band Eins das Tempo schrittweise erhöht. Übrigens auch der Bodycount, obwohl so ein Ausdruck nie über die Lippen des Kunstdetektivs käme. Eher schon belesene Hinweise auf seltene Dichter. Und stilvolle Drinks. Und eine Art Cliffhanger zum nächsten Band.

Robert B. Parker ist berühmt für seine Spenser-Reihe, an der er sein Leben lang schrieb, und schließlich mit so viel Routine, dass er mit 65 noch ein neue Reihe begann: Das dunkle Paradies führt Jesse Stone ein, einen Cop mit Alkohol- und Eheproblemen, der den halben Roman lang damit beschäftigt ist, seine Frau und seinen alten Job in Kalifornien zu verlassen und eine Sheriff-Stelle in einem Ostküsten-Nest anzunehmen. Dort kommt er bald darauf, als Versager geholt worden zu sein, damit die Honoratioren fiese Dinge hinter den Kulissen treiben können. Natürlich wächst das Wrack an den Widerlingen - und der Ruhm der Reihe wuchs, als sich Tom Selleck für die Rolle interessierte. Der war da zwar schon 20 Jahre älter als der Jesse Stone im Buch, machte seine Sache im TV aber so melancholisch gut, dass immerhin acht abendfüllende Folgen gedreht wurden, wenn auch nicht in der Reihenfolge der Original-Romane. Gerade erschien neben dem Nachdruck des ersten Bandes, ergänzt um ein Nachwort von Frank Göhre, auch der zweite Band Terror auf Stiles Island neu übersetzt beim Pendragon-Verlag, der nach und nach Parkers Gesamtwerk herausbringt.

Mit Band 3 zeigt Ben Aaronovitchs Mystery-Crime Serie um den ermittelnden Zauberlehrling Peter Grant erste Ermüdungserscheinungen. Scheinbar zum Durchatmen strolcht der magisch immer noch anfängerhafte, aber ansonsten streetwise Polizist länglich durch U-Bahn-Tunnel und gentrifizierte Stadtteile, um ganz viel "London wie es war" unterzubringen. Von hier aus kann man kaum entscheiden, ob Aaronovitch wirklich dem älteren London nachtrauert oder ob Grant fiktiv-nostalgische Dönekes aus den großen Magier-Kriegen erzählt. Kriminalistisch ist Ein Wispern unter Baker Street ein Procedural. Wie reibt sich die Zauberabteilung von Scotland Yard mit den handfesten Bullen von der U-Bahn-Sicherheit und der intriganten Agentin vom FBI, die herausfinden soll, warum ein amerikanischer Kunststudent mit Scherben von einer verhexten Schüssel erstochen wurde. Gut für Leute, die im TV etwa Grimm und Doctor Who mögen. Für letzteren schreibt Ben Aaronovitch auch Drehbücher.

In Paris steht ein Denkmal zu Ehren des Präsidenten Saint-Exupéry, und in den Buchhandlungen kursieren Bücher mit wilden Geschichten über einen "Vergelter" namens Osama: Der Israeli Lavie Tidhar erhielt für seinen Roman Osama 2012 den "World Fantasy Award", obwohl das Buch eher ein aus dem Ruder gelaufener Krimi ist. Ein Privatdetektiv namens Joe erhält von einer ominösen Fremden den Auftrag, den Autor jener Bücher zu finden, in denen der "Vergelter" Osama die Welt mit Terroranschlägen überzieht. Die Zwischenkapitel enthalten Ausschnitte aus diesen Romanen und handeln alle von realen Terroranschlägen der letzten 15 Jahre. Joe lebt offenkundig in einer anderen Welt, in der er aber nicht allein hinter dem seltsamen Autor her ist. In wunderbar weitschweifigen Passagen beschreibt Tidhar Joes Welt, die keinen Deut anders ist als diese. Und lässt vermehrt Zweifel aufkommen, ob und wie Joes Welt mit jener des "Vergelters" verbunden ist. Dass dabei Figuren wie Rick Blaine (aus "Casablanca") auftreten und Joe in einem Kino sitzt, in dem, zu seiner völligen Verstörung, Tod Brownings "Freaks" läuft - das sind nur ein paar Bausteine aus diesem seltsamen und überaus amüsanten Fantasy-Krimi, der keinesfalls den üblichen "Huch, ich verlauf mich gerade in der Weltliteratur"-Ansatz pflegt. Aber das muss man selbst lesen.

Da musste auch erst mal wer drauf kommen: Oliver Kalkofe, den berühmten Chief-Inspektor Even Longer, den berühmtesten Detektiv der Welt sprechen zu lassen, beziehungsweise natürlich Dr. John Watson, den etwas begriffsstutzigen Chronisten, durch dessen Mund uns Arthur Conan Doyle: Die Abenteuer des Sherlock Holmes erzählt. 12 Kurzgeschichten, übersetzt von Gisbert Haefs und zum Lesen zuletzt 2007 bei Insel erschienen, kommen jetzt auf 6 Audio-CDs heraus, ungekürzt und unbearbeitet vorgelesen von Oliver Kalkofe. Aber aufpassen: Es sind nicht gerade die heute berühmtesten Fälle (kein Baskerville, keine Study in Scarlet, weder Holmesī Tod noch seine Auferstehung), aber es sind die Storys, mit denen Doyle Ende des vorletzten Jahrhunderts vom Ladenhüter zum Besteller aufstieg.

"Argument macht nicht mal Hardcover daraus und bringt Manottis Werke als preiswerte Taschenbücher heraus!" lobhudelten wir 2011. Seitdem hat der Verlag gelernt und bringt die vorzüglichen Kriminalromane der Französin Dominique Manotti in Erstausgabe als Hardcover heraus; wenn man schon so ein Pfund im Programm hat, soll man auch damit wuchern. Zügellos heißt der neue im Programm (erschienen 1997 in Frankreich) und behandelt eine sehr realistische und sehr enge Verquickung von Hochfinanz, Pferderennen, Kokainschmuggel und Immobilienspekulation. Der sachliche Tonfall, mit dem der schwule Kommissar Daquin und sein Team sich durch diese Anhäufung von Brandstiftung, Mord und Aktienhandel arbeiten, steht im scharfen Kontrast zu den Methoden und Emotionen, die darin vorkommen. Dass Manotti dabei manchmal fast sentimental werden kann, fällt in diesem ruppig verfassten und hervorragend konstruierten Plot nicht weiter auf.

Liz Jensen hat irgendwie Angst vor Kindern. Handelte Endzeit schon von einem Blag mit beängstigenden Talenten, sind es in Die da kommen gleich alle Kinder der Welt, die sich gegen die Erwachsenen verschwören. Jedenfalls sieht es so aus. Bis wir das kapieren, kämpft sich Mr. Lock (!), ein Ermittler mit Asperger Syndrom, durch eine Reihe seltsame Sabotagefälle weltweit. Ob Dubai, Schweden oder Tokio, überall verwandeln sich loyale Mitarbeiter in Saboteure, die später behaupten werden, "sie" hätten sie dazu gezwungen. Dass "sie" die Kinder sind und dass das eigentlich auch nichts erklärt, macht den ruhig und präzise verfassten Roman spannend. Liz Jensen mag schnörkellose Sätze so sehr wie ihr Mr. Lock sein Origami, das er zur Selbstberuhigung pflegt. Das leicht irrationale Ende verzeiht man dem Buch, in dem sein Held bis zur letzten Seite dafür kämpft, den Rahmen des Rationalen nicht zu verlassen.

-aco / vl / es / thf / w-

Warren Ellis: Gun Machine Aus dem Englischen von Ulrich Thiele. Heyne, München 2013, 383 S., 8,99 / Magnus Montelius: Ein Freund aus alten Tagen Aus dem Schwedischen von Paul Berf, Piper, München 2013, 398 S., 19,99 / Sam Millar: Die Bestien von Belfast Aus dem Englischen von Joachim Körber, Atrium, Zürich 2013, 228 S., 16,95 / Don Winslow: Manhattan Übersetzt von Hans-Joachim Maas, Suhrkamp, Berlin 2013, 404 S., 9,99 / Uwe Ritzer / Olaf Przybilla: Die Affäre Mollath. Der Mann, der zu viel wusste Droemer, München 20123, 240 S., 19,99 / Martin Suter: Allmen und die Dahlien. Diogenes, Zürich 2013, 214 S., 18,90 / Robert B. Parker: Das dunkle Paradies. Terror auf Stiles Island Pendragon, Bielefeld 2013, übersetzt von Robert Brack, Nachwort von Frank Göhre, 348 S., 10,95, übersetzt von Bernd Gockel, 312 S., 10,95 / Ben Aaronovitch: Ein Wispern unter Baker Street Deutsch von Christine Blum. München, dtv 2013, 10,30 / Lavie Tidhar: Osama Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller. Rogner & Bernhard, Berlin 2013, 22,95 / Arthur Conan Doyle: Die Abenteuer des Sherlock Holmes übersetzt von Gisbert Haefs, vorgelesen von Oliver Kalkofe. Hörverlag, München, 6 x je 2 CD, je ca. 140 Min., 10,00. / Dominique Manotti: Zügellos Aus dem Französischen von Andreas Stephani. Hamburg 2013, 286 S., 18,- / Liz Jensen: Die da kommen. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg. dtv, München 2013, 316 S., 14,90