Die kleine Krimi-Rundschschau 63. Folge


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Au weh. Da kommt Hans-Jörg Kühne in Totes Haus mit einem interessanten Schauplatz, und verwehrt uns gleich den Zugang mit seiner extrem uneleganten Schreibe im holperigen Spannungs-Präsens. Obwohl erst mal gar nichts passiert. Ein Kommissar wird zu einer Leiche gerufen, die sich einerseits als alter Schulfreund herausstellt und andererseits in einem Haus liegt, das der Tote in den letzten Jahren auf rätselhafteste Weise umgebaut hat. Treppen und Türen führen ins Leere, einige Zimmer sind durch Schränke verbunden, andere scheinen an verschiedenen Stellen des Hauses identisch vorzukommen, wieder andere wurden in größere Original-Zimmer hineingebaut. Diese Erfindung entfaltet einigen Sog, auch wenn dem Kriminaler viel zu früh einfällt, dass es ein ähnliches Haus schon mal als Kunstprojekt gab. Und der Erzähler unprovoziert bald Hinweise streut, dass das Rätsel des Geheimnisses irgendwo in der deutschen Vergangenheit liegen könnte.

Natürlich kann einer wie Dennis Lehane, der Shutter Island und Mystic River verfasst hat, schreiben. Und alles, was er über Boston erzählt, ist wahrscheinlich so wahr wie die Hölle. Trotzdem ist In der Nacht als Roman über einen Prohibitionsgangster Ende der zwanziger Jahre dermaßen überschaubar und überraschungsfrei, dass es eine Weile dauert, bis man bemerkt, warum man sich langweilt. Weil trotz aller elegant gebauten Sätze und liebevoll beschriebener Interieurs die Figuren vollkommen hohl sind. Und Romane, die damit beginnen, dass die Hauptfigur mit den Füßen im Zement steht und sich kurz vor ihrem Tod an alles erinnert, sind eher gut kalkuliert als originell.

Irgendwann einmal wird jemand Bücher sammeln, die in Badewannen anfangen. Dann wird Erwin, Mord & Ente bestimmt berühmt. Legt Autor Thomas Krüger seine Hauptperson doch derart entspannt ins fruchtwasserwarme Bad, dass wir ganz haltlos mit in seinen Gedanken verschwimmen. Erwin hält sich für eine Art Polizisten, weil er in der alten Ortswache lebt und die Dienstmütze des verstorbenen Vaters aufträgt. Die tief westfälischen Nachbarn halten ihn nur für den netten Dorftrottel und seinen Kollegen Lothar für eine gewöhnliche Laufente. Dabei hilft ihr seltsames Gebaren Erwin oft, auf die absonderlichsten Spuren und Gedanken zu kommen. Einige davon führen mit viel Pomp von einem Knochenfund beim Pflügen zu geheimbündischen Nazis. Vor etwaiger Ermüdung wegen der etwas zu gewöhnlichen Entdeckung schützt Thomas Krüger uns durch hemmungsloses Überkandideln mit großen Explosionen und seit dem Krieg konservierten Leichen.

Als er noch kein berühmter Schriftsteller war, schrieb John Boyne über einen berühmten Fall vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Die Titanic war noch nicht untergegangen, da fand man in London Cora Crippen zerstückelt in ihrer Wohnung. Und den verschwundenen Ehemann Dr. Crippen per Funk und unter einem Tarnnamen an Bord eines Transatlantik-Schiffes. Er wurde als Mörder unter großem Presseecho hingerichtet. Dass die Leiche aber vielleicht nicht mal seine Frau war, wie amerikanische Genetiker 2007 behaupteten, konnte Boyne 2004 noch nicht wissen, als er seinen historischen Roman Der freundliche Mr. Crippen schrieb. Der beschäftigt sich vor allem mit dem sprichwörtlich liebenswürdigen Hawley Crippen und einer nicht allzu weit von der veröffentlichten Wahrheit abweichenden Deutung der Vorgänge. Und vor allem mit einem schwelgerischen Gesellschaftsbild an Bord eines Luxusliners.

Mitten in Kopenhagen wird ein alternatives Jugendzentrum geräumt, Chaoten aus ganz Europa sind angereist, um sich mit den Cops zu prügeln, die ihrerseits alles aufgefahren haben, was einen Schlagstock halten kann. Und als der Rauch der Tränengasgranaten sich verzieht, findet man am nächsten Morgen die Leiche eines Mannes in der Stadt, offenkundig zu Tode geprügelt. Der Mann ist gekleidet wie ein Anarcho. Jesper Stein hat sich ein interessantes Szenario für seinen ersten Krimi Unruhe - Der erste Fall für Kommissar Steen ausgedacht. Auch die Hauptfigur - geschieden, schlaflos, von erotischen Träumen über die Ex-Frau verfolgt - ist nicht schlecht skizziert. Dass der Fall eigentlich nichts mit der Räumung des Jugendzentrums zu tun hatte, dass die Spuren eher (mal wieder) auf den Balkan führen, durfte man als geübter Leser erwarten. Am Ende braucht die gut geschriebene Geschichte, die sich immer wieder sehr liebevoll der Schilderung Kopenhagens widmet, wo der Autor wohnt, knapp 100 Seiten zu viel für die Auflösung. Das zieht sich etwas.

Der Einfall war clever, als Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb einfach ihre Wohnorte zusammen warfen und so gleich zwei Regional-Krimis unter einem Titel schrieben. Auch der dritte, Nach dem Applaus, präsentiert sich im Untertitel als Ein Fall für Berlin und Wien und zeigt schon, wo der Hase den Pfeffer holt: Aus dem Lokalkolorit. Bier und Wein, Kaffee und Melange, Schnauze und Schmäh prallen aufeinander, und die jeweiligen Ermittler haben ein prekäres Verhältnis miteinander, schimpfen sich gern aus, genießen es aber auch, wenn eine Leiche sie zusammenführt. Diesmal fallen sogar mehrere an, alle hinter der berühmten Schauspielerin her, die sich am Burgtheater nicht nur Freunde machte und nun in Berlin abgestochen wurde. Von da bis zum Showdown in den verschneiten österreichischen Bergen gehen der Berliner und die Wienerin ziemlich ziellos den seltsamsten Spuren nach und begegnen allen Klischees: von der lesbischen Künstler-Agentin über den vergrätzten Theater-Kulissenschieber bis zum honorigen Kultur-Mäzen mit ganz viel Dreck am Stecken. Nicht gerade spannend, aber unterhaltsam. Gut für eine Zugfahrt von Berlin nach Wien.

Von der ironischen Fingerübung über ein Internet-Gerücht bis zum nicht mehr funktionierenden Mordplan mittels Diabetiker-Nahrung, vom präzisen Psychogramm eines Snipers bis zum immer wieder verwendeten verschrobenen Westfalen als Schmunzel- und Grusel-Typus reicht das Spektrum im dicken Sammelband Teuto Tod, in dem Verleger Günther Butkus viele bekannte und weniger bekannte Hobby-Killer aufeinanderschichtet. Offenbar funktionierten die mehreren bisher erschienen normalformatigen Anthologien so gut, dass es Zeit für einen Omnibus wurde, der Volker Backes, Mechtild Bormann, Hans-Jörg Kühne, Que Du Luu, Sandra Niermeyer und viele andere, manche sogar mehrmals und die allermeisten mit noch nie veröffentlichten Stories enthält.

Ein ordentlicher Krimi muss mit einer Leiche anfangen. Aber wenn Friedrich Ani ihn schreibt, dann ist es der vor Jahren ermordete Sohn der Chefin der Privatdetektei, in der Anis Ex-Kommissar Tabor Süden seit einigen Bänden nun arbeitet. Und als zweites führt uns der schweigsame, des Lebens müde Mann nur erinnernd in seinen neuen Fall ein, auf einem Friedhof vor dem eigenen Familiengrab. So legt sich von Beginn an Trauer über die Ermittlungsarbeit. Eine blonde Frau mit Zöpfen sucht ihren verschwundenen Geliebten. Ein typischer Fall für den Vermissten-Spezialisten Süden. Aber mit einer untypischen Wendung: Bald dämmert es Süden, dass die "28", die seine Auftraggeberin so gern auf dem Pullover trägt, ein Neonazi-Code ist für den 2. und 8. Buchstaben des Alphabets, ("Blood & Honour"). Süden ermittelt weiter, langsam, ausführlich und mit viel Zeit für die dunklen Seelenlagen aller Beteiligten. Wie üblich sitzt er oft schweigend bei einem Bier in einer Eckkneipe und hört so lange zu, bis einer etwas sagt. Wie nicht so üblich weitet sich das persönliche Drama der verlassenen Enddreissigerin zu einem beinahe aktuellen gesellschaftlichen Aufreger: Bald fühlt man sich an den NSU-Prozess erinnert und steckt in einem rechtsextremistischen Sumpf mitten in der Normalität. Und plötzlich erscheint der Romantitel M als wehmütig verkehrende Anspielung auf den gleichnamigen Fritz-Lang-Film von 1931. Die Polizei ermittelt und macht haarsträubende Fehler, der rechte Untergrund jagt auch nach dem Verschwundenem, und auch wenn am Ende alle Fälle aufgeklärt werden, sogar der des Sohnes von Südens Chefin, wird nicht alles gut.

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Hans-Jörg Kühne: Totes Haus CW Niemeyer, Hameln 2013, 320 S., 9,95 / Dennis Lehane: In der Nacht Aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff. Diogenes, Zürich 2013, 584 S., 22,90 / Thomas Krüger: Erwin, Mord & Ente. Heyne, München 2013, 301 S., 9,99 / John Boyne: Der freundliche Mr. Crippen Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Arche, Zürich 2013, 523 S., 22,09 / Jesper Stein: Unruhe - Der erste Fall für Kommissar Steen Aus dem Dänischen von Patrick Zöllner. KiWi, Köln 2013, 476 D., 12,99 / Claus-Ulrich Bielefeld & Petra Hartlieb: Nach dem Applaus Ein Fall für Berlin und Wien. Diogenes, Zürich 2013, 389, 14,90 / Günther Butkus (Hrsg.): Teuto Tod Pendragon, Bielefeld 2013, 432 S. 14,99 / Friedrich Ani: M Droemer, München 2013, 366 S., 19,99