Die kleine Krimi-Rundschschau 64. Folge


und hier die vorherige-Ausgabe

Als der Filmemacher Theo van Gogh auf offener Straße in Amsterdam von einem marokkanischen Fundamentalisten ermordet wird, landet er in einer Art Limbus, einem "Vor-Himmel", wo er von einem schwarzen Engel namens Jimmy empfangen wird. Van Gogh wird von Jimmy als Schutzengel angelernt, seine Zielperson ist ein bekannter Gangster namens Max Cohen, der gerade ein neues Herz eingepflanzt bekommen hat - das von Jimmy. Andererseits ist Max der Ex-Geliebte jener Frau, mit der der Schriftsteller Leon de Winter gerade zusammenlebt. Und der würde gerne ein Buch über Theo van Gogh schreiben. Aus dem realen Mord an van Gogh und angereichert mit einigen echten Personen hat Leon de Winter mit Ein gutes Herz einen grandiosen satirischen Thriller geschrieben, der nicht nur ein komplexes Personenkarussell in Gang setzt, sondern auch einiges über die Gegenwart in Holland verrät. Neben dem eher privaten Beziehungsreigen entwickelt sich ein veritabler Thriller, als ein Flugzeug entführt wird und mitten in Amsterdam eine Bombe hochgeht. Alle Personen sind involviert, und der zweite Teil des Buches ist deshalb eigentlich noch witziger und böser als der erste, bei dem man aus dem Kichern gar nicht mehr herauskommt. Besonders die Beschreibung des Säufers und Kiffers und Hurenbockes van Gogh (mit dem de Winter Zeit seines Lebens eine veritable Feindschaft verband) als Engels-Lehrling ist ebenso witzig wie tragisch: Wie sehr ihm dieses verrückte Leben da unten auf der Erde fehlt, merkt van Gogh erst, als er, jetzt endlich ohne Reue, als körperloser Engel es genießt, saufen und rauchen zu können

Inspektor gibt´s kan haben Jan und Tibor Zenker ihr schmales Bändchen über den legendären Major Kottan genannt. Der trieb 19 Folgen lang sein Unwesen im österreichischen und deutschen Fernsehen, bis ihm die Senderchefs von heute auf morgen den Saft abdrehten. Warum - das wäre eine Frage, deren Beantwortung spannend gewesen wäre. So enthält das Buch eine Inhaltsangabe aller Folgen (auch der nicht gedrehten), und weil der früh verstorbene Kottan-Erfinder Helmut Zenker der Vater der beiden Autoren war, finden die sicherheitshalber alles ganz toll, was sich im Lauf der Jahre an Albernheiten aufgestaut hat. In der ansonsten öden deutschen TV-Krimilandschaft ist Kottan allerdings immer noch ein Solitär, ein Rebell, gegen den Schimanski nur ein ungewaschener Rüpel war, und eine TV-Serie, die Grenzen sprengte, von denen man vorher gar nicht wusste, dass man sie sprengen konnte. Etwa wenn in einer Kottan-Folge unten ein Laufband eingeblendet wurde, dass Ufos in Duisburg gelandet seien. Ueberreuter, Wien 2014, 96 S., mit zahlr. Abb., 14,95)

Auf Jutta Profijt ist Verlass. Nicht nur fallen ihr regelmäßig neue Abenteuer für ihr freches Gespenst Pascha ein, einen toten Ex-Autoknacker, der sich spiritös zum Kriminalberater eines eher unbedarften Rechtsmediziners entwickelt. Nein, diesem Geistwesen mit beschränkten Fähigkeiten (Internet ja, aber Telepathie nur mit seinem Doktor) fallen seitenweise oft immer die selben flotten Sprüche ein. Etwas mackerig über weibliche Bullen oder Mordopfer zu faseln, macht zwar die Erzählatmosphäre schön leicht, aber "Denkschüssel" für Kopf hat man schon nach ein paar Seiten satt. Da hält einen nur noch der Plot bei Knast oder Kühlfach: Ausgerechnet ein Vorzeigekriminaler und bester Freund von Paschas Weltkontakt soll seine Exfrau ermordet haben. Da muss Deutschlands einziger ermittelnder Toter ja einschreiten.

Die einzige wirklich lebende Figur in Mord in Babelsberg verlässt das Buch nach ein paar Seiten, auf denen Susanne Goga den Mordbereitschaftswagen vorstellt, den der echte Kriminalrat Ernst Gennat 1926 in Berlin konstruierte. Mit damals modernster Technik und Verstärkungen für den dicken Chefermittler. Mordauto und Gennat kommen dann aber nicht mehr vor, wie überhaupt die historischen Recherchen dem Fall eher äußerlich bleiben. Ein totes Fräulein liegt in Berlin, und Gogas Serienkommissar Leo Wechsler druckst etwas herum, weil er früher mal was mit dem Fräulein hatte. Nun ist er glücklich verheiratet, und seine Frau druckst herum, weil sie keine Kinder kriegen kann. Trotzdem deckt Leo einen Fall auf, der ihn hinter die Kulissen des boomenden Filmgewerbes führt. In manchen Studios wird des Nachts scheinbar Schweinkram gedreht, und seine Ex hat irgendwas damit zu tun. (dtv, München 2014, 319 S., 9,95)

Es fängt ganz harmlos an mit einem Gullideckel, der verkehrsgefährdend neben dem dazugehörigen Schacht liegt. Schon das versetzt die kleine Polizeiwache, in der Monika Geiers Serienkommissarin Bettina Boll seit sechs Bänden arbeitet, in Aufruhr. Zuständigkeitsfragen müssen geklärt werden, die Kollegen aus dem Nachbarort hatten auch mal ein paar Gullifälle, plötzlich werden überall Kanalschächte aufgedeckt, und in manchen stecken Leichen. Eher zufällig stolpert die sehr alltagsnahe Ermittlerin über Spuren, steckt immer mit einem Bein auch in privaten Problemen, und nähert sich mit viel Laufarbeit und Verständnis nur auf Umwegen dem Herz von Die Hex ist tot. Das hat etwas mit Übergewicht und Diätwahnsinn zu tun, aber man folgt Bettina Boll auch ohne die spannungssteigernd eingeschnittenen Gedankenschnipsel des vermutlichen Täters gern über die Dörfer.

So langsam kommt Jesse Stones Welt wieder in Ordnung. In Band 3 und 4 der zweitberühmtesten Romanreihe nach Spenser, an der Robert B. Parker bis zu seinem Tod 2010 schrieb, kriegt der in eine Kleinstadt geflohene Mordfallermittler sein Alkoholproblem in den Griff und am Ende sogar seine geschiedene Frau wieder. "Wie eine Trennung auf Probe, nur umgekehrt", einigen sich Jesse und Jenn in Eiskalt. Noch sieht der wortkarge Polizeichef von Paradise, Massachusetts im Buch gar nicht Tom Selleck ähnlich, der ihn in vielen Filmen spielte. Noch ist er gut im Saft, stößt besoffene Randalierer ein bisschen selbstbestrafend zu Boden und spielt in Die Tote in Paradise ganz ordentlich Amateur-Baseball. Vor allem aber brilliert er in lakonischen Dialogen und mit einer unaufgeregten Konsequenz, die ihn immer wieder von einem etwas seltsamen Leichenfund auf die dunklen Seiten seines kleinen Paradieses führen. Jesse Stone ist kein strahlender Held, eher ein Philip Marlowe auf dem Dorfe (über Marlowe schrieb Parker in jungen Jahren eine Doktorarbeit un dim Alter zwei Romane). Zwei andere Reihen aus dem Spätwerk warten noch auf ihre Erstübersetzung. Da hat der Bielefelder Pendragon Verlag noch auf Jahre hinaus gut zu tun.

Der Regionalkrimi ist nicht tot zu kriegen. Ja in den auch nicht mehr so ganz neuen Bundesländern scheint er geradezu zu boomen. Jedenfalls protzt der Erfurter Sutton-Verlag neben allerlei ernsthafter Regionalgeschichte mit einem inzwischen die ganze Republik abdeckenden Krimiprogramm. Und zum Jahresanfang gleich mit dem Gewinner des Thüringer Krimipreises. Thomas Paffrath schickt in Sonne, Wind und Tod einen Ministerialbeamten zur geheimen Vorbereitung des nächsten G8-Gipfels in die aufstrebende Gegend und hängt ihm einen lokalen Investor störend tot in den Baum. Es folgen landeskundliche und touristische Passagen, ein Krösken mit einer Lokaljournalistin fürs Kolorit, viel Beiseite-Informationen über das Geschäft mit Photovoltaik und Windparks für die Relevanz. Und Stilblüten wie "das perlte von ihm ab wie Öl." Oha. Als Reiseführer ist das Buch aber gut zu gebrauchen. Und als Warnung vor windigen Investments.

Der Banküberfall, den die vier Genossen in den 70ern gemeinsam zur Systemdestabilisierung durchführen, klappt noch ganz gut. Aber dann türmt einer der Genossen mit der Beute, und 20 Jahre später sieht alles ganz anders aus: Höhepunkt von Wolfgang Bortliks Krimigroteske Arme Ritter ist eine Prügelei zwischen zwei 60jährigen Altgenossen, die seit ihrer Jugend davon träumen, einander was aufs Maul zu geben, und inzwischen zu alt sind, noch einen Treffer zu landen. Zwischen dem Banküberfall und der albernen Rauferei liegen nicht nur viele Jahre und viele altkluge Bemerkungen der Romanfiguren, Bortlik hat auch eine angenehm hämische Geschichte der Streetfighter geschrieben. Ein bisschen erinnert das an die Romane von Jean-Francois Vilar, nur alberner.

Hitlers Deutsche haben grade die Welt in Brand gesteckt, 1940 steht England allein in Europa, Russland gehört noch zu den Nazi-Verbündeten, die USA sind überaus kriegsunwillig. In dieses Szenario hinein hat der Journalist Jonathan Freedland seine Geschichte Intervention gestellt. In der geht es darum, wie ein englischer Collegeprofessor, ein ehemaliger Spanienkämpfer, der für die spanische Republik einst Geheimdiensttätigkeiten ausübte, seine Frau und sein Kind sucht. Beide sind angeblich auf Einladung der Universität Yale erst nach Kanada und dann nach Connecticut gereist, wo sie vor den Bombenangriffen der Deutschen geschützt werden sollen. Der verlassene Professor, kreuzunglücklich über die heimliche Abreise seiner Frau, macht sich auf den Weg und stellt fest, dass in Yale niemand weiß, wo seine Frau geblieben ist. Und während bald der erste Vize-Dekan tot vom Deckenbalken baumelt, fragt sich der Professor immer mehr, ob er hier wirklich einer privaten Tragödie oder einer großen politischen Verschwörung auf die Spur gekommen ist. Intervention ist eine großartige Mischung aus Universitätsroman und Thriller. In dem Roman geschieht nicht viel, das aber wirkungsvoll. Der Figur zudem ein paar psychologische Probleme und eine sehr gewitzte Reporterin zur Seite zu stellen, gehört zu den wenig originellen, aber höchst wirkungsvoll eingesetzten Stilmitteln Freedlands, der als Brite lange in den USA lebte und sich hier vor allem mit profundem Wissen über das Elitecollege-System hervortut.

Manchmal überraschend böse, oft traurig, hin und wieder mit absurdem Humor erzählt Friedrich Ani in Unterhaltung 39 Geschichten. Abwechslungsreicher in Stil und Tonfall als in seinen Romanen, taucht Ani uns und sein Personal in tief bayerische Schattenlandschaften. Wir hocken im Stüberl, wir haben Sex im Hotel, wir feiern scheinbar ganz unironisch einen Superpolizisten, der jeden Fall löst, auch wenn ganz offensichtlich nie mit dem richtigen Täter. Die meisten Geschichten sind einzeln schon irgendwo mal erschienen oder gehören zu Anis Repertoire auf Lesereisen. In der Anstaltspackung sind sie eine gute Einführung in Anis Welt, die größer ist, als das München seines Dauerermittlers Tabor Süden. Aber auch der kommt in einigen vor.

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Leon de Winter: Ein gutes Herz. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes, Zürich 2013, 505 S., 22,90 / Jan und Tibor Zenker: Inspektor gibt´s kan Ueberreuter, Wien 2014, 96 S., mit zahlr. Abb., 14,95 / Jutta Profijt: Knast oder Kühlfach. dtv, München 2014, 333 S., 9,95 / Monika Geier: Die Hex ist tot Argument, Hamburg 2013, 363 S., 12,00 / Susanne Goga: Mord in Babelsberg dtv, München 2014, 319 S., 9,95 / Robert B. Parker: Die Tote in Paradise. / Eiskalt. Übersetzt von Bernd Gockel. Pendragon., Bielefeld 2014, 312 S. / 352 S., 10,99 / 10,99 / Thomas Paffrath: Sonne, Wind und Tod. Sutton, Erfurt 2014, 216 S., 12,99 / Wolfgang Bortlik: Arme Ritter. Nautilus, Hamburg 2014, 158 S., 19,90 / Jonathan Freedland: Intervention Aus dem Englischen von Rainer Schmidt, Fischer Scherz, Frankfurt 2014, 509 S., 16,99 / Friedrich Ani: Unterhaltung. Droemer, München 2014, 315 S., 18,00