Die kleine Krimi-Rundschschau 65. Folge


und hier die vorherige-Ausgabe

Als Goldschmied und Zauberkünstler kann man Robert Cedric Marley (ein Pseudonym, natürlich) gar nicht genug rühmen. Seine selbstgebaute und trickreich funktionierende H.G. Wells-Zeitmaschine etwa ist eine Wucht. Außerdem betreibt er ein privates Kriminalmuseum und ist ganz versessen auf viktorianische Verbrechen. Deshalb bringt in seinem Krimi-Debüt Inspector Swanson und der Fluch des Hope-Diamanten auch irgendwer im London Oscar Wildes Goldschmiede um. Gemächlich schürzt sich das typische Rätselgeflecht von den Hurenhäusern bis in die höchsten Kreise, von der prüden Oberfläche bis in sodomitische Tiefen. Sogar Arthur Conan Doyle tritt am Rande auf und verleiht dem Kostümkrimi einen Hauch Kriminalismusgeschichte. Nur zwei Eigenheiten stören: Marleys etwas gefudelt flapsige Schreibe und der wunderschöne, nostalgisierende Blauschnitt. Der klebt alle Seiten leicht aneinander, was doch sehr das Blättern bremst.

Endlich erfahren wir mal, wie viel Mühe so ein Buch macht. Für Dalmore Jazz, den neuen Edinburgh-Krimi von Monika Laue zählt die Verlegerin auf: 232 Stunden Schreibarbeit der Autorin (das macht etwa eine Stunde pro Seite), drei Monate Lektorat zur Überarbeitung von Stil, Logik, Spannung (das macht an Arbeitsstunden mehr als das Doppelte), nochmal einen Monat für die Rechtschreibprüfung und zwei Wochen für die Herstellung von Papier- und E-Book-Ausgabe. Und das alles, damit eine deutsche Autorin uns erklärt, wie die schottische Polizei arbeitet, wie Dalmore-Whisky schmeckt und dass Ninjitsu gegen eine Jazzband mit Dreck am Stecken hilft. Sehr seltsam und erst so richtig unterhaltsam mit dem passenden Smartphone-App, das als Touristenführer zu den Handlungsorten dient.

Die Schweiz sieht in den Romanen von Michael Herzig ziemlich dreckig aus. Auch in Frauen hassen kriegt das geputzte Image von Land und Polizei erst mal kräftig was auf die Mütze, bevor die angeknackste Heldin zu einem Undercovereinsatz ins deutsche Rockermilieu geschickt wird. Den versemmelt sie katastrophal, und erst ganz langsam stellt sich heraus, warum Herzig von Anfang an in Zwischenszenen so viele Ex-Polizisten auf der anderen Seite des Gesetzes auftreten lässt. Ein Sumpf tut sich auf. Denn noch bevor sich der aktuelle Fall entwickelt, machen spannungssteigernd im Präsenz erzählte Szenen einen zweiten auf, der sich erst später als früher heraus stellt. Und sozusagen als Kontrastfolie zum Schicksal der Gegenwartspolizistin dient.

Selbst gute Krimis leiden mitunter daran, dass der raffiniert entwickelte Plot am Ende in eine öden Auflösung mündet. Bei Dominique Manottis Politthriller Ausbruch ist es genau umgekehrt. Der überschaubare Plot vom Kleinkriminellen in Italien, der in die Fänge des Geheimdienstes gerät, nach Frankreich flieht und dort Schriftsteller wird, kann vor lauter Klischees kaum gerade stehen. Der Verleger heißt bei Manotti "der Verleger", seine Presseassistentin "die Presseassistentin" - alles ist Funktion, Experiment, Familienaufstellung im Politmillieu. Selbst die Figuren mit Namen handeln selten überraschend, und der anfangs sprachlose Kleingauner, der zum literaturpreisverdächtigen Autor mutiert, ist der Manotti gänzlich daneben geraten. Aber die Auflösung der Geschichte, die Ende der 80er spielt, als ein gewisser Berlusconi auftaucht und der italienische Geheimdienst endlich die Spuren seiner Drecksarbeit beseitigen möchte, dieses Ende also, auf den letzten 20 Seiten stringent entwickelt, lohnt die bis dahin mühsame Lektüre. Wovon überhaupt die Rede ist, hat Herausgeberin Else Laudan in einem Nachwort kurz und prägnant ausgebreitet.

Bayernkrimis bewegen sich im Rest der Republik meist zwischen Tannöd und Dampfnudelblues, Entsetzen und Gemütlichkeit. Mit Der Tote am Maibaum versucht Alexander Bálly einen dritten Weg. Er schreibt sacht schmunzelndes Hochdeutsch, erklärt das Spurensichern ausführlich, hat zwei Kriminaler mit unterschiedlichen Dialekten, und einen Metzger im Ruhestand als Gelegenheitsermittler und Türöffner zu der Dörflerwelt. Dass der zum Nachdenken ins Schwimmbad geht, ist vorbildlich. Dass seine 12jährige Enkelin ihm Facebook erklärt, macht den harmlosen Reiz aus.

Wenn der Mond stirbt spielt in Nairobi während der kenianischen Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007. Eine tote junge Frau wird in einem Kanal gefunden, und der Polizist Mollel weiß nicht, ob sie Opfer eines Lustmordes, einer Genitalverstümmelung oder einer schiefgegangenen Geburt wurde. Er ermittelt sich in der Hierarchie nach oben, da wo Mordverdächtige meist unangreifbar werden, und irgendwann muss er sich die obligate Predigt des obligaten Chefs anhören, die hier allerdings etwas anders klingt. Auf die Frage, was denn mit der Gerechtigkeit werde, wenn er jetzt, wie befohlen, die Ermittlungen einstelle, antwortet sein Superintendent, dass es hier etwas viel wichtigeres gebe als Gerechtigkeit: "Frieden. Gerechtigkeit ist ein Luxus, Frieden ist eine Notwendigkeit. Wenn Sie Gerechtigkeit wollen, ziehen Sie in irgendein Erste-Welt-Land mit schicken Polizeilaboren und DNA-Tests und Richtern, die nicht käuflich sind. Das ist die einzige Möglichkeit, solche Leute dranzukriegen. Oder noch bessre, werden Sie selbst Richter. Die sind für Gerechtigkeit zuständig. Unsere Aufgabe besteht darin, den Frieden zu wahren." Und genau dieser Frieden fliegt ihnen dann um die Ohren, denn infolge der massiven Wahlfälschungen kommt es zu Aufständen (mit Hunderten von Toten), und irgendwo zwischen Mob und Politik versucht der depressive Polizist Mollel den Mörder zu finden. Der ehemalige BBC-Korrespondent Richard Crompton hat nicht nur einen fein konstruierten Krimi geschrieben, er gewährt auch tiefen Einblick in die Gegenwart Kenias, wo Stammeszugehörigkeiten jeder positiven Entwicklung im Wege zu stehen scheinen. Nicht, weil es objektive Gründe für Hass und Misstrauen gäbe, sondern weil die Herrscher, ob schwarz oder weiß, sie geschickt nutzen. Ein zweiter Band mit Detektive Morell ist bereits erschienen, allerdings nicht auf Deutsch.

Der Autor, Jörg Juretzka, hatte mit seinen letzten Büchern das Krimigenre in Richtung überkandidelter Farce verlassen, Kristof Kryszinski, sein Seriendetektiv seit 16 Jahren und zehn Fällen, hat in Taxibar nun den Beruf gewechselt. Er will nicht mehr ermitteln, er will nur noch Bier und Tequila an die Nachtjacken im Bahnhofsviertel Mühlheims verkaufen. Oder verschenken, wenn es mal einer dringend braucht. Außerdem hat er beim Strandurlaub am Atlantik ein dickes Paket Heroin gefunden, das offenbar von einem Schmugglerboot fiel. Ist das das Glück? Wird der stets moralisch integre, aber dem Gesetz eher desinteressiert gegenüberstehende Ruhrpott-Bogart nun alle Sorgen los? Mitnichten. In seiner 24-Stunden-Kneipe bricht Krieg aus. Roma-Mädchen beklauen seine Nachbarn und verschwinden spurlos, belgische Drogenbosse erschießen einen Hehler, die örtliche Biker-Gang schießt zurück, ein Stammgast verprügelt seine Küchenhilfe und alles bricht immer heftiger zusammen. Kristof Kryszinksi kann gar nicht anders, als zwischen den Fronten das gerade mal Bestmögliche zu tun. Gewohnt lakonisch, zynisch und näher am Film Noir denn je hetzt der Ex-Detektiv durch die Mean Streets des Ruhrpotts. Und Jörg Juretzka ist einen Schritt weiter auf dem Weg vom coolen Slapstick zum relevanten Gegenwartsroman.

Mark Billingham mag ein gefeierter Autor in England sein, und sein Roman Die Lügen der Anderen mag auf der Bestsellerliste gestanden haben. Der schlicht konstruierte Krimi um drei Ehepaare und einen Mord schleppt sich dennoch dahin in einer lieblosen Erzählweise, die keine Tempowechsel kennt und nur die allereinfachsten Gedanken formuliert - weil die Protagonisten eben auch einfach sind. Dass dabei weder ein neuer Plot noch eine neue Idee auftauchen, macht den dickleibigen Roman zur Fleißarbeit mit wenig Lohn.

Die vergleichsweise junge Marlies Ferber, deren Krimidebüt Operation Eaglehorst wir hier wohlwollend begrüßten, kommt weit herum. Das erste Abenteuer ihres hochbetagten Ex-Agenten Null-Null-Siebzig wird in ihrer Heimatstadt Hagen zum Kammerschauspiel, der dritte Roman Mord in Hanghzou führt den rüstigen Greis derweil von England nach China. Dort vergiftet jemand Luxustees. Wegen der politisch komplizierten Lage verbieten sich offizielle Ermittlungen, aber James Bond - oops - James Gerald kennt Land und Leute von früher, äußert sich kenntnisreich über die Peking-Oper, und dringt, von allen Seiten manipuliert, vor zu schwelenden Konflikten zwischen China und Indien. Geschickt baut die gelernte Sinologin östliche Lebensart, Kunst und Philosophie in die Handlung, gemächlich entwickelt sie die Beziehung des Altspions zu seinem Bond-Girl weiter, das auch schon längst in Rente, aber keinesfalls auf den Mund gefallen ist. Aus dem Rollator mit Reizgasdüse des Debüts ist nun ein tödliches Essstäbchen geworden.

Süreyya Sami ist einer jener Ermittler, die ihre Gegner und Leser einfach zu Tode quasseln. Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy erzählt eine beinahe unverschämt schlichte Geschichte (Frau ist weg und entpuppt sich als Ex-Nutte), die sich über die Runden rettet, indem wir vom Ich-Erzähler, dem Ex-Polizisten Süreyya Sami, erfahren, was er von Wahlen und Nasenhaaren hält, warum er als Cop früher gerne mal Kriminelle verprügelt hat und was Mama von all dem hält. Darin versteckt sind wahrscheinlich jede Menge Anspielungen, die der Nicht-türkische Leser leider nicht versteht (ein Witz hat mit weiblichen Vornamen zu tun), weshalb Bans Uygur mit seinem Ermittler in der Türkei wohl recht erfolgreich war, hier aber wirkt der endlos lange Erzählfluss um einen wirklich schlichten Plot herum stark einschläfernd.

Eigentlich dürfte Maria Grappa, seit 20 Jahren die Serienheldin von Gabriella Wollenhaupt, in ihrem Bierstadt ja nichts mehr fremd sein. Aber damit auch der Normalleser sich zurechtfindet, muss die freche Journalistin in Grappa sieht rosa sogar "Poppers" googeln und ziemlich blauäugig in einen Fall sozialer Desorientierung tappen. Lustig: der russische Außenminister flieht aus Moskau, um in Bierstadt einen Stricher zu heiraten. Zugleich wird ein schwulenfeindlicher Kolumnist von geheimen Knaben totgesext, und ein schnuckeliger Fitnesstrainer erklärt der schnaufenden Hetero-Ermittlerin, alle wollten doch immer nur das eine, Glück und Liebe. Hach, Grappa wird älter, trinkt weniger, freundet sich sogar mit der Kulturzicke vom Schreibtisch gegenüber an und liefert mal wieder ein bisschen Aufregung für den Stammtisch und ein bisschen Menscheln für den Kaffeekranz.

Von Anne Goldmann gefiel uns schon Das Leben ist schmutzig, und dass der Ariadne Verlag uns auf dem Umschlag zu Lichtschacht zitiert, gefällt uns auch. Aber auch viele andere haben erkannt, dass Anne Goldmann ungewöhnliche und gute Krimis schreibt. In diesem fällt eine Frau vom Dach, eine andere sieht es und glaubt es nicht, und obwohl der Leser bald weiß, dass es einen Täter gab, folgt er gern den Zweifeln der Hauptperson. Die versucht vor allem, sich in Wien zurecht zu finden, lebt als House-Sitterin in fremden Wohnungen und balanciert Sorge und Nichteinmischung verstehbar aus. Ebenso unaufdringlich wechselt die Autorin zwischen Passagen aus Sicht der Zeugin und des Täters. Dass weder sie noch wir ihn erkennen, aber trotzdem kennenlernen, macht den Hauptreiz des Buches aus, das sehr wienerisch daherkommt, samt kurzem Österreichglossar, aber nie zum Regionalkrimi wird.

aco/thf/vl/wing-

Robert Cedric Marley: Inspector Swanson und der Fluch des Hope-Diamanten Dryas, Frankfurt/M. 2014, 304 S., 9,50 / Monika Laue: Dalmore Jazz Goldfinch, Frankfurt/M. 2014, 290 S., 12,95 / Michael Herzig: Frauen hassen Grafit, Dortmund 2014, 347 S., 19,99 / DomInique Manotti: Ausbruch Aus dem Französischen von Andrea Stephani, Argument, Hamburg 2014, 253 S., 17,- / Alexander Bálly: Der Tote am Maibaum Sutton, Erfurt 2014, 328 S.12,99 / Richard Crompton: Wenn der Mond stirbt Deutsch von Claudia Feldmann, dtv, München 2014, 383 S., 14,90 / Jörg Juretzka: Taxibar Rotbuch, Berlin 2014, 222 S., 16,95 / Mark Billingham: Die Lügen der Anderen Aus dem Englischen von Peter Torberg, Atrium, Zürich 2014, 413 S., 19,99 / Marlies Ferber: Mord in Hanghzou dtv, München 2014, 320 S, 9,95 / Bans Uygur: Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy binooki, Berlin 2014, 176 S., 15,90 / Gabriella Wollenhaupt: Grappa sieht rosa Grafit, Dortmund 2014, 191 S., 9,99 / Anne Goldmann: Lichtschacht Argument, Hamburg 2014, 287 S., 12,-