WE FEED THE WORLD

Tomaten auf der Autobahn

Der Irrsinn der globalen Lebensmittelproduktion - ein Dokumentarfilm klärt auf

Wenn Abkürzungen wie BSE oder H5N5 Schlagzeilen machen und mal eben in einem Geflügelmastbetrieb 20000 Hühner gekeult werden, dann wird uns Endverbrauchern wieder bewusst, auf welch dubiose Weise Nahrungsmittel entstehen, die wir Tag für Tag in uns reinstopfen.
Fernab aktueller Lebensmittelskandale untersucht der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer in seiner Dokumentation den ganz normalen Wahnsinn der Essensproduktion und die absurden Wege, die unser Essen zurücklegt, bis es bei uns auf dem Teller landet. Eine Tomate etwa aus dem südspanischen Almeria legt über 2000 Autobahnkilometer zurück, bis sie in einem Wiener Supermarkt landet.
In Almeria ist seit den 60er Jahren die sonnige Ebene in ein 25.000 Hektar weites Labyrinth aus Gewächshäusern verwandelt worden. Die Pflanzen dort sind noch nie mit einem Brocken Erde in Berührung bekommen. Sie stehen in Steinwolle und werden rund um die Uhr mit düngehaltigem Wasser versorgt. Der Tomatenanbau in Südspanien wird mit EG-Geldern gesponsert. Aber weil man die Massen an Treibhausgemüse nicht mehr auf den europäischen Markt verkaufen kann, finden sich die tapferen Almeria-Tomaten auch auf den Gemüsemärkten im Senegal wieder. Sie sind so billig, dass die Bauern dort ihre einheimische Ware nicht mehr verkaufen können und auswandern müssen. Zum Beispiel nach Almeria, wo die illegalen Arbeiter aus Afrika unter unwürdigen Bedingungen zwischen den Gewächshäusern hausen.
Es sind Kreisbewegungen wie diese, mit denen Wagenhofer an mehreren Beispielen die Absurdität der globalen Warenzirkulation aufzeigt. In Brasilien ist inzwischen der Tropenwald auf einer Fläche so groß wie Portugal und Frankreich gerodet worden. Vorwiegend wird dort Soja angebaut, obwohl der Boden gar nicht dafür geeignet ist. Aber Gentechnik, Pestizide und Kunstdünger helfen auch hier aus, während in direkter Nachbarschaft zu den Plantagen die Menschen verhungern, 800.000 allein in Brasilien, einem der reichsten Agrarländer der Erde.
Das Soja wird zum großen Teil nach Europa verschifft und an das Vieh verfüttert. Mit jedem Billigschnitzel verzehren wir auch immer ein Stück Regenwald. Oder wie es Jean Ziegler, der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, drastisch ausdrückt: "Die Weltlandwirtschaft könnte ohne Probleme 42 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet."
Die Stärke von Wagenhofers Film ist, dass er das System der Globalisierung des Nahrungsmittelmarktes anhand von Beispielen plastisch und drastisch analysiert. Die Saatguthersteller, die in Rumänien mit ihren regierungsbezuschussten Hybridsamen die Bauern in Abhängigkeit bringen und eine gewachsene Landwirtschaft zerstören, arbeiten ebenso nach dem Prinzip der Profitmaximierung wie der Chef des Nestle-Konzerns Peter Brabeck, der davon träumt, auch die Versorgung des Menschen mit Wasser zu kapitalisieren.
Wagenhofer lässt den Mann reden, bis der sich selbst reinreitet, und macht trotzdem klar, dass selbst der Chef des mächtigsten Lebensmittelkonzerns der Welt auch nur eine auswechselbare Marionette im System der Aktiengesellschaften und multinationalen Konzerne ist.
Nicht alles, wovon Wagenhofer erzählt, ist neu, aber er ordnet die Fakten rund ums Essen so an, dass er die absurde Mechanik der Weltmärkte verbindet mit dem sinnlichen Verlust, der mit der industrialisierten Nahrungsmittelproduktion einhergeht. Unsere Enkel, sagt Karl Otrok, der Produktionsleiter einer Saatgutfirma in Rumänien, werden gar nicht mehr wissen, wie eine richtige Tomate schmeckt. Wenn es stimmt, dass man ist, was man isst, dann sieht unsere Zukunft ziemlich geschmacklos und trostlos aus.

Martin Schwickert

A 2005. R & K: Erwin Wagenhofer


Das Interview zum Film