ERWIN WAGENHOFER ÜBER »WE FEED THE WORLD«

Globaler Hunger

Über den Wahnsinn der globalisierten Nahrungsproduktion


Der Film zum Interview



Wie ist die Idee entstanden, einen Film über die globalisierte Nahrungsmittelproduktion zu machen?
Ich wollte einen Film über den Zustand unserer Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts machen. Und zwar anhand von Dingen, mit denen wir im Alltag direkt zu tun haben. Nahrung bietet sich da an.
Über Kleidung hätte man einen ähnlichen Film machen können. Die Globalisierung, die ja schon so alt ist wie Kolumbus, tritt heute in eine neue Phase. Von der terristischen hin zu einer sphärische Form der Globalisierung, wie der Philosoph Peter Sloterdijk es formuliert. Diese Umbruchsituation bringt es mit sich, dass wir Freiheiten verlieren, die wir uns über Jahrhunderte erkämpft haben.
Zugunsten der Freiheit des Marktes?
Es wird viel vom Freien Markt geredet, aber eigentlich haben wir es mit einer Monopolisierung der schlimmsten Art zu tun. Die 50 größten Konzerne machen die Planwirtschaft für die ganze Welt. Wir haben doch schon erlebt, dass die Planwirtschaft im Osten nicht besonders erfolgreich war, und jetzt sollen die Planwirtschaften im Westen erfolgreicher sein? Die Konzerne wollen keinen Freien Markt, sie wollen den Markt dominieren. Wenn der reichste Mann der Welt, Bill Gates, 90% der Computerwelt beherrscht dann hat das mit Freihandel nichts zu tun.
Einer der überzeugendsten Kritiker der industriellen Landwirtschaft in Ihrem Film ist selbst Produktionsleiter bei einem Saatgutunternehmen. Ist das nicht ein bisschen schizophren?
Es war sehr schwierig, so jemanden zu finden, der seine Meinung auch vor der Kamera offen sagt. Karl Otrok hat mich zuerst gefragt, wann der Film rauskommt. Und dann war klar, dass er da schon in Pension ist. Aber Otrok hat sich in Rumänien eine kleine Saatgutmaschinenfirma aufgebaut. Bei der Uraufführung unseres Filmes beim Festival in Toronto war wohl jemand von der Firma Pioneer im Publikum, und am Tag danach ging eine E-Mail um die Welt "No business with Karl Otrok". Seitdem hat Herr Otrok etwa zwei Millionen Euro Verlust mit seiner Firma gemacht.
Was hat unser Essverhalten mit dem Hunger in der Dritten Welt zu tun?
Die Globalisierung stand für mich nicht im Vordergrund. Mich hat immer nur interessiert, was das mit uns zu tun hat. So sind wir etwa nach Brasilien gereist, weil die Tiere, die wir essen, mit dem Soja von den brasilianischen Plantagen gefüttert werden, die sich immer weiter in den Regenwald hineinfressen, während direkt daneben die Menschen nichts zu essen haben. In Brasilien hungern 44 Millionen Menschen, d.h. 25 % der Bevölkerung. Dabei ist Brasilien keine Katastrophenregion, die von Dürre, Heuschreckenplagen oder Bürgerkrieg heimgesucht wird. Von den 842 Millionen Menschen, die in der Welt hungern, sind die wenigsten Opfer solcher Katastrophen. Die meisten hungern dort, wo es genug gibt.
Wie lässt sich dieser Kreis durchbrechen?
Wenn Fleisch zu solch aberwitzig niedrigen Preisen auf den europäischen Markt kommen soll, dann muss es so hergestellt werden, dann müssen die Rinder mit Gen-Soja aus Brasilien gefüttert und die Hühner in Stallungen von 35000 zusammengepfercht werden. Das Argument ist immer, dass wir uns eine andere Form der Lebensmittelproduktion nicht leisten können. Wenn wir aber wirklich unseren Lebensstil ändern und sagen: Ich will in Ruhe essen, möglichst Lebensmittel, die aus der Region kommen, meinetwegen biologisch - dann kommen wir in einen ganz anderen Lebensrhythmus. Wir sind viel schneller satt, zufriedener, und leben letztendlich billiger. Aber die Freiheit, darüber zu bestimmen, verlieren wir immer mehr.
Wohin führt diese Entwicklung?
Die Entwicklung führt dorthin, wo wir wollen, dass sie hinführt. Deshalb heißt der Film auch We feed the World und nicht They feed the World. Wir sind alle für dieses System verantwortlich. Ich glaube es ist möglich, dieses System zu ändern. Das fängt damit an, dass wir diese Produkte einfach nicht mehr kaufen. Das ist ganz einfach. Dann ist es an der Zeit, auf die Politiker Druck auszuüben, dass sie endlich etwas für uns tun und nicht nur für die Wirtschaftsinteressen der Konzerne. Man kann sagen: In zehn Jahren nehmen wir nur noch die Hälfte der Tomaten aus Spanien, nur noch die Hälfte Soja aus Brasilien. Das wäre schon eine Verbesserung. Denn welcher Politiker denkt schon zehn Jahre im Voraus?

Interview: Martin Schwickert