5 Jahre Leben

Verhörmaschine


Das Interview zum Film

Das Schicksal von Murat Kurnaz, der in Guantanamo jahrelang von den USA illegal festgehalten und gequält wurde, als Spielfilm

Die Decke liegt zusammengefaltet auf der Pritsche, und wer sie anfasst, wird vom Wachpersonal verprügelt. So sind die Regeln in Guantanamo. Die Wolldecke ist der Fetisch einer Willkürherrschaft, die die Gefangenen mit allen Mitteln zu brechen versucht.

1725 Tage verbrachte Murat Kurnaz zunächst im afghanischen Kandahar und später im US-Internierungslager Guantanamo in Gefangenschaft. Im Herbst 2001, nur wenige Wochen nach den Anschlägen des 11.September, war der Deutsch-Türke nach Pakistan gereist, wo er eine Koranschule besuchen wollte. Auf dem Rückweg zum Flughafen wurde er dort von der pakistanischen Polizei verhaftet und als Terrorist per Kopfgeld an den amerikanischen Geheimdienst verkauft.

In seinem beachtlichen Spielfilmdebüt 5 Jahre Leben erzählt Regisseur Stefan Schaller die Geschehnisse konsequent aus der Innenperspektive des Gefangenen, der misshandelt und gefoltert wurde und sich dennoch weigerte zu gestehen, was er nicht getan hatte.

Was lässt diesen Mann all diese Torturen überleben, ohne dass er sich in ein Geständnis hineinzwingen lässt? Diese Frage stellt man sich als Zuschauer unwillkürlich, und sie wird zum ständigen Begleiter in diesem Film. Am Anfang sieht man Kurnaz boxend im Ring und aus dem Off hört man sein Gebet: "Allah, gib mir Geduld und Kraft und beschütze mich. Ich weiß, dass du der beste Beschützer bist. Ich suche Schutz nur bei dir." Vielleicht ist es die Kombination aus dem spirituellen Halt des Gläubigen und dem körperlichen Durchhaltevermögen des Kampfsportlers, die Kurnaz die Qualen überleben lässt. Aber vor allem ist es die Gewissheit der eigenen Unschuld, die er gegen den Geständniszwang der Verhörmaschine Guantanamo verteidigt.

Kurnaz' Leidensgeschichte wird nicht zum heldenhaften Martyrium stilisiert und auch die tagespolitischen Implikationen des Falles, der Gegenstand zahlreicher Medienberichte, Untersuchungsausschüsse und Gerichtsverfahren war, bleiben weitgehend außen vor. Stattdessen konzentriert sich Schaller auf das System Guantanamo, zeigt die ganze Bandbreite perfider Verhörmethoden und verweist vor allem auf das komplexe Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gefangenem und Vernehmer, der ein Geständnis braucht, auch um das eigene Tun zu rechtfertigen. 5 Jahre Leben beweist, dass politisches Kino in Deutschland keineswegs in drögen Bekenntnisfilmen enden muss. Ohne Effekthascherei entwickelt der Film eine enorme emotionale Kraft und überzeugt gleichzeitig durch sein scharfsinniges psychologisches und politisches Analysevermögen.

Martin Schwickert

D 2013 R: Stefan Schaller B:Stefan Schaller, Maggie Peren, Juli Zeh K: Armin Franzen D: Sascha Alexander, Ben Miles, John Keogh, Tasyfun Bademsoy