Murat Kurnaz über »5 Jahre Leben«

»Das ist echt krank«

Murat Kurnaz über »5 Jahre Leben« und warum er gegen die fortbestehende weltweite Folter kämpft


Die Besprechung zum Film

Mit welchem Gefühl haben Sie den Film zum ersten Mal angeschaut?

Mir ist klar, dass dies ein Spielfilm ist, wo Einiges nicht genau so gezeigt wird, wie es war. Und die Zuschauer wissen ja auch, dass hier die Wahrheit nachgestellt wird.

Der Film nimmt die Folterszenen, die Sie in Ihrem Buch sehr eindringlich beschreiben, gezielt zurück...

Der Film verharmlost natürlich die Ereignisse. Die Faustschläge und Tritte, die im Film gezeigt werden, würde in Guantanamo niemand als Folter bezeichnen. Wenn man in Guantanamo über Folter spricht, dann meint man Elektroschocks, Waterboarding und solche Sachen. Das wird im Film nicht gezeigt. Da habe ich auch erst einmal geschluckt und gedacht: "Was ist hier los, warum wird hier alles verharmlost?" Aber je mehr ich über den Film rede, merke ich, dass die Gewaltszenen für die Zuschauer schon sehr nah an der Grenze des Erträglichen sind.

Wie war es für Sie, noch einmal in die Erinnerung an diese grausamen Erlebnisse hineinzugehen?

Ich bin mit meiner Geschichte ja schon mehrmals an die Öffentlichkeit gegangen. Was ich in diesen fünf Jahren in Kandahar und Guantanamo am eigenen Körper erlebt habe - das war sehr schwer. Darüber zu erzählen ist im Vergleich dazu ganz einfach. Und ich spreche auch gern darüber, weil es Guantanamo heute immer noch gibt und darüber hinaus auf der Welt mehr als 21 Geheimgefängnisse existieren, in denen gefoltert wird. Ich arbeite eng mit Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty International" zusammen und ich hoffe, dass auch mit diesem Film mehr Menschen realisieren, dass heute weiterhin gefoltert wird.

Wie konnten Sie diese Tortour über so lange Zeit überhaupt aushalten?

Die Kraft kam nicht aus mir selbst. Ich habe zu Gott gebetet und ich bin Gott sehr dankbar, dass er mir diese Kraft gegeben hat. Ich selbst habe versucht, mich körperlich fit zu halten. Habe trainiert so gut es ging. Ich habe ja seit meinem achten Lebensjahr Kampfsport betrieben. Aber die psychische Kraft, das zu überstehen, konnte mir nur Gott geben.

Haben Sie überlegt, nachdem die deutsche Regierung Sie derart im Stich gelassen hatte, sich in einem anderen Land niederzulassen?

Ich bin Bremer. Ich bin dort aufgewachsen. Meine ganze Familie lebt in Deutschland. Wo hätte ich hingehen sollen? Ich kenne die Türkei nur aus dem Urlaub.

Wie hat Guantanamo Ihren Alltag in Deutschland verändert?

Für alle war ich der potenzielle Terrorist, weil die Politiker behauptet haben, dass sie mich nicht aus Guantanamo rausgeholt hätten, weil ich gefährlich sei. Das hat dazu geführt, dass die Leute auf Abstand gingen. Selbst wenn der Chef mich einstellen wollte, gab es oft in der Firma Leute, die Angst vor mir hatten. Das ist heute noch so. Das geht so weit, dass kriminelle Organisationen, wie bestimmte Motorradclubs, mich als Mitglied und Geldeintreiber anwerben wollen. Das ist echt krank.

Haben Sie Alpträume?

Nein, ich habe keine Alpträume. Komischerweise träume ich sehr selten von Guantanamo. Ich schlafe sehr gut. Vielleicht liegt das daran, dass ich ein bis zweimal am Tag trainiere und abends einfach kaputt bin. In Guantanamo habe ich jahrelang auf einer Metallplatte ohne Matratze geschlafen. Wenn ich jetzt in meinem weichen Bett liege, schlafe ich sofort glücklich ein.

Interview: Martin Schwickert