UP IN THE AIR

Leben aus dem Koffer


Das Interview zum Film

»Up in the Air« ist eine melancholische Satire über Einsamkeit, Jobverlust und Größenwahn

Ryan Bingham hält gerne Vorträge. Dann steht der charmante Endvierziger vor einem halb verdunkelten Saal am Pult, lächelt sein Publikum an und zeigt auf den Reiserucksack, der neben ihm steht. Stellen Sie sich vor, sagt er, sie müssten Ihr ganzes Leben in diesen Rucksack packen. Die Kleinigkeiten aus den Regalen, die Bücher, Ihre Gaderobe, das Auto, das Haus... merken Sie, wie die Riemen des Rucksacks Ihnen ins Fleisch schneiden?

Mit derlei rhetorischen Taschenspielertricks aus der Motivationsschule beschreibt Bingham sich selbst. Er lebt mehr als 320 Tage im Jahr auf Flughäfen oder in Fliegern und genießt es.

Bingham wird gemietet, wenn er Leuten beibringen soll, dass sie gefeuert sind. Dann kriegt er eine Liste mit vielen Namen und arbeitet sie brav ab. Seine Kunst besteht darin, dass die frisch Gefeuerten den Raum glücklich und zufrieden verlassen- "Begreifen Sie das als neue Chance!" flötet Bingham und weiß, dass er da Bockmist erzählt.

Niemand außer George Clooney könnte diesen Schurken charmanter spielen. Ryan Bingham ist ein Schlitzohr, ein Handelsvertreter des Elends, der den Leuten ihre eigene Arbeitslosigkeit verkauft. Trotzdem besitzt er so etwas wie Ganovenehre: Jeder soll sich nach einem Gespräch mit ihm gut fühlen.

Jason Reitman, der seit dem furiosen Komik-Drama Juno keinen weiteren Film gedreht hat, beschreibt diese Welt über den Wolken mit ironischer Distanz und Liebe zum Detail.

Bingham verguckt sich auf dem Flughafen in die smarte Geschäftsfrau Alex, die das gleiche Leben führt wie er, von Flughafen zu Flughafen ziehend ("Stell dir vor, ich bin du", sagt sie zu ihm, "nur mit Vagina"). Stolz präsentieren sie einander ihre diversen Kredit- und Goldcards, die auch dazu dienen, in Hotels und Flughäfen Personalräume zu öffnen, wo man ein schnelles Nümmerchen schieben kann.

Als Bingham merkt, dass er sich in Alex verliebt, läuft sein Leben ein bisschen aus dem Ruder. Wir werden nicht erfahren, warum er das Leben aus dem Rucksack gewählt hat, aber am Ende wissen wir, dass er inzwischen gerne auch anders leben würde, aber es scheint zu spät zu sein.

Vorangetrieben wird der Film durch die nette Idee, dass Bingham selbst von Rationalisierung bedroht ist. Sein Chef überlegt, dass man Entlassungsgespräche auch per Videokonferenz durchführen könnte. Jetzt muss Bingham der kühlen Assistentin Natalie beweisen, dass sein Job nur mit direktem Augenkontakt funktioniert. Also reisen die beiden quer durch die USA und entlassen Leute. Natalie wird dabei sehen, worauf es dabei ankommt und ein entsprechendes Handbuch verfassen. Trotzdem endet alles ganz anders.

Jason Reitman verbindet die Kapitel seiner leisen Erzählung durch die Draufsicht auf die jeweilge Stadt: Omaha, Chicago, Cincinatti - von oben sehen wir Straßen, Linien, Farbflächen. Dann sind wir am Boden - und sehen fast nur noch geschlossene Räume im künstlichen Licht. Man kann nicht entscheiden, was unwirklicher ist. Und das alternde Gesicht von George Clooney, dessen Jungencharme hier gegen die wachsende Erkenntnis ankommen muss, dass das Leben vielleicht doch nicht in einen Rucksack passt. Manchmal allerdings beinahe in einen Film.

Victor Lachner

USA 2009 R: Jason Reitman B: Jason Reitman, Sheldon Turner K: Eric Steelberg D: George Clooney, Vera Farmiga, Anna Kendrick, Jason Bateman, Amy Morton, Sam Elliott