Jason Reitman über »Up in the Air«

OFFENER BLICK

Jason Reitman über Einsamkeit, Erfolg und seinen Film »Up in the Air«


Der Film zum Interview

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie im Flugzeug über den Wolken sind?

Für mich ist das eine romantische Form von Einsamkeit. Ich reise sehr gern. Ich mag Flughäfen. Es gibt nur noch wenige Plätze, wo man alleine und unerreichbar sein kann. Früher war es das im Kino. Aber heute im iPhone-Zeitalter bekommt man auch dort seine Emails. In einem Flugzeug hingegen fühle ich mich wie auf einer Insel.

»Thank you for Smoking«, »Juno«, »Up in the Air« - Ihre Hauptfiguren scheinen ein wenig gegen den Strom zu schwimmen.

Meine Charaktere haben eines gemeinsam: Sie haben einen offenen Blick auf Dinge, die andere mit Vorurteilen betrachten. Nicks Blick auf den Tabakkonsum, Junos Sicht auf Schwangerschaft, Rays Einstellung zur Einsamkeit. Sie haben ihre Einstellung nicht als Gegenposition oder Abgrenzung zu dem entwickelt, was andere denken. Sie sind einfach offen in ihrem Denken und gleichzeitig sehr selbstbewusst.

Was hat sich für Sie durch den Erfolg von »Juno« verändert?

Der Erfolg hat mir die Art von kreativer Freiheit verschafft, die man normalerweise nicht bekommt, wenn man erst zwei Filme gedreht hat. Aber wenn man einen Film für 7 Millionen Dollar auf die Beine gestellt hat und der an der Kinokasse 230 Millionen einspielt, geben die Studios einem einen Vertrauensvorschuss. Ich habe ein Drehbuch geschrieben, das ein sehr verzwicktes Ende hat. Normalerweise hätte das Studio auf einem konventionellen Happy End bestanden, aber nicht einmal im Scherz hat irgendeiner der Produzenten darüber gesprochen.

Inwieweit verstehen Sie »Up in the Air« als Kommentar zur Wirtschaftskrise?

Ich sehe in der Wirtschaftskrise eine interessante Metapher für unsere Figur, weil Ray den Leuten ihre berufliche Existenz abschneidet. Aber ich wollte keinen Film machen, der die Finanzkrise kommentiert. Als ich vor Jahren anfing das Drehbuch zu schreiben, war die Wirtschaft noch am boomen. Aber natürlich hat die Krise dem Film einen anderen Drive gegeben. In diesen Zeiten nimmt man die Probleme von Leuten, die entlassen werden, sehr viel ernster. Aber es ist nicht meine Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Das macht Michael Moore schon. Ich will Filme machen, die Fragen stellen und bewegen.

Dennoch haben Sie an den Anfang halbdokumentarische Szenen gesetzt, in denen Leute, die tatsächlich ihren Job verloren haben, ihre Entlassung nachspielen.

Am Anfang hatte ich die Entlassungsszenen als Satire geschrieben. Als uns die Wirklichkeit mit der Krise überholt hat, wollte ich hier eine gewisse Authentizität reinbringen. Deshalb haben wir in Detroit eine Anzeige geschaltet, in der wir Interessenten für eine Dokumentation über Arbeitslosigkeit gesucht haben. Wir haben etwa mit 100 Leuten gesprochen, die uns davon erzählt haben, wie sie ihren Job verloren haben, was die Personalmanager zu ihnen gesagt haben, wie sich ihr Leben durch die Entlassung verändert hat. Nach zehn Minuten haben wir sie gefragt, ob sie bereit wären vor der Kamera noch einmal nachzuspielen, was sie in der Kündigungssituation gesagt haben oder gerne gesagt hätten. Diese Gespräche haben das Drehbuch stark beeinfluss und 25 von diesen Leuten sind nun auch direkt im Film zu sehen.

Interview: Martin Schwickert