INTERVIEW MIT WOODY ALLEN

»ICH BIN NICHT COOL«
Woody Allen über George W. Bush, das Glück im Allgemeinen und warum sein 70. Geburtstag der schlimmste von allen war


Wie in »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« geht es in »Match Point« um einen Mörder, der ungestraft davon kommt. Warum ist das Thema so wichtig?
Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass sich Verbrechen nicht auszahlt, weil Verbrecher immer irgendwann erwischt und bestraft werden. Aber wenn man sich in der wirklichen Welt umschaut, stellt man fest, dass viele Verbrechen gar nicht bestraft werden, dass zumeist nur die Armen ins Gefängnis wandern und die Reichen für ihre kriminellen Taten oft gar nicht belangt werden. Und das gilt nicht nur für Gesetzesbrecher, sondern auch für Leute, die sich gegenüber anderen in Herzensangelegenheiten kriminell verhalten haben - und natürlich auch für die Verbrechen von Regierungen. Sofern man selbst keinen Sinn für Moral hat, hat man in unserer Gesellschaft gute Chancen ungestraft davon zu kommen.
Glauben Sie, dass George W. Bush mit den Folterungen in Guantanamo ungestraft davon kommt?
Ich glaube, keine zivilisierte Person denkt, dass Bush richtig gehandelt hat. Und das ist nur einer von vielen Bereichen, in denen diese Regierung versagt hat. Die Bush-Administration ist eine der schlimmsten Regierungen, die Amerika je hatte. Ich habe schon vor ein paar Jahren gesagt, dass der Mann vollkommen überfordert ist. Die politische Weltsituation ist zu kompliziert für ihn. Er weiß nicht, wie man damit umgeht und macht alles nur noch schlimmer. Wir werden es überleben und bei der nächsten Wahl, wird ein anderer kommen. Aber die Folterungen in Guantanamo richten sich gegen alles, wofür wir als Amerikaner erzogen wurden. Ich finde das fürchterlich.
Die Hauptfigur ist ein junger Mann, der für seinen gesellschaftlichen Aufstieg über Leichen geht. Ist Chris ein Prototyp für seine Generation und unsere Zeit?
Ich denke, Chris ist ein Charakter, den es zu jeder Zeit gab. Er ist ein ambitionierter junger Mann, der vom Luxus verführt wird und dessen Gefühle durcheinander geraten. Dieser Mann, der eigentlich nur einen Job haben und etwas Anständiges aus seinem Leben machen wollte, wird von einer Leidenschaft erfasst, die ihn in schreckliche Schwierigkeiten bringt. Er trifft eine unmoralische Entscheidung - und wird glücklich.
Trotzdem bleibt das Glück in »Match Point« ein unberechenbarer Faktor.
Glück ist eine kapriziöse Angelegenheit. Man kann eine Millionen im Lotto gewinnen, aus dem Haus treten und von einem Taxi überfahren werden. Wir sind dem Glück ausgeliefert wie ein Papierschiffchen auf dem Ozean. Viele denken, wenn sie Sport treiben, nicht rauchen und sich gut ernähren, dass ihnen die schlechten Nachrichten beim Arzt erspart bleiben. Aber das ist keine Garantie. Bis zu einem gewissen Grade kann man sich selbst helfen, aber man braucht auch Glück.
Von der Leinwand kennt man Sie eher als unglücklichen Menschen. Hatten Sie in Ihrem Leben mehr Glück?
Ich hatte immer Glück. Schon als Kind war ich glücklich. Ich hatte Glück, dass ich ein kleines Talent zum Witze erzählen besaß. Denn ohne dieses Talent wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre. Ich bin früh aus der Schule raus und hatte keine richtige Ausbildung. Auch als ich im Filmgeschäft angefangen habe, blieb mir das Glück treu. Das Publikum und die Kritiker hatten beschlossen, nur die guten Dinge in meinen Filmen herauszustreichen. Sie hätten genau so gut auf alle meine Fehler zeigen und sagen können: Das ist Amateurkram und überhaupt nicht komisch. Aber sie haben es nicht getan. Ich hatte in meinem Leben immer Glück. Ich konnte Filme machen, ohne irgendjemand Rechenschaft ablegen zu müssen. Ich hatte immer meine künstlerische Freiheit. Ich bin ein wirklich miserabler Klarinettenspieler, aber ich darf mit meiner Band auf der ganzen Welt auftreten. Wenn ich vorher nicht so viele Filme gemacht hätte und im Wiener Opernhaus auftreten würde, wären wahrscheinlich nur die ersten beiden Reihen besetzt. Aber weil die Leute meine Filme gesehen haben, ist der Saal voll.
Ist Glück eine rein zufällige Angelegenheit oder gibt es auch etwas wie Schicksal?
Ich glaube nicht, dass es ein Schicksal gibt. Die Dinge ergeben sich von einem Moment zum anderen. Wir sind zu nichts vorherbestimmt. Die Zukunft existiert nicht. Sie wird von einem Moment zum anderen erschaffen. Über Schicksal kann man immer nur retrospektiv sprechen. Das Leben ist eine Folge von Zufällen, die oft mit mystischen Dingen verwechselt werden. Wenn man nachts von der Nummer 7 träumt und dann beim Buchmacher auf diese Nummer setzt und das Pferd gewinnt, denken die Leute, dass sei eine mystische Angelegenheit. Das ist aber nur ein glücklicher Zufall.
»Match Point« wird als Favorit im Oscar-Rennen gehandelt. Würde Sie ein Acadamy Award glücklich machen?
Ich bin immer hoch erfreut, wenn jemand meine Filme mag, denn ich habe jedes Mal Angst, dass meine Filme beim Publikum nicht ankommen. Was die Leute jedoch oft nicht begreifen, ist, dass ich nie etwas tun würde, nur um ihnen zu gefallen. Wenn man mir sagen würde, du musst nur den Schluss ändern und du bekommst zehn Oscars und 100 Millionen Dollar an den Kinokassen - ich würde es nicht tun. Aber wenn ich gemacht habe, was ich wollte, und die Leute mögen es, dann ist das einfach wunderbar.
Stärkt der Erfolg eines Filmes Ihr Selbstbewusstsein?
Selbstbewusstsein kann immer nur aus dem Inneren kommen. Jeder liebte Marilyn Monroe, aber sie hat sich umgebracht, weil sie in ihrem Inneren nicht genügend Selbstwertgefühl besaß.
Aber es gibt auch Stars, die zuviel Selbstwertgefühl besitzen, wie etwa Tom Cruise, der neuerdings öffentlich vor der Einnahme von Antidepressiva abrät.
Tom Cruise ist ein wunderbarer Schauspieler, aber niemand sollte zu ihm gehen, um einen medizinischen oder psychologischen Rat einzuholen. Seine Argumentation ist von einer vorgefassten Meinung geprägt, die auf der Philosophie basiert, die er weiterverbreiten will.
Gibt es auch Leute, die so cool sein wollen wie Woody Allen?
Ich bin der am wenigsten coole Typ auf der ganzen Welt. Ich höre das zwar manchmal von jüngeren Leuten, aber das bedeutet mir nichts. Ich weiß wie ängstlich ich bin. Nein, ich bin definitiv nicht cool.
Sie sind gerade 70 geworden...
Ich hasse meine Geburtstage. Wenn die Leute mit mir feiern wollen, frage ich mich immer, was es da zu feiern gibt. Wir sind auf diesem furchtbaren Marsch in die Vergessenheit und das muss man nicht feiern. Und je älter man wird, um so schlimmer ist es. Dieser Geburtstag war schlimmer als der letzte und so geht es weiter.
Mit »Match Point« haben Sie das erste Mal einen Film außerhalb Manhattans gedreht. Werden Sie das jetzt öfter tun?
Meine Erfahrungen waren so positiv, dass ich gleich zwei Filme in London gedreht habe und sich mein Horizont geöffnet hat. Mir hat es sehr gut gefallen mit meiner Frau und den Kindern ein paar Monate in einem anderen Land zu verbringen. Ich werde meinen nächsten Film noch einmal in London drehen und dann habe ich auch noch Angebote aus Frankreich und Spanien. Wenn mir das früher einer erzählt hätte, hätte ich ihn ausgelacht. Aber so kann ich endlich meinen Traum verwirklichen: Ich werde jetzt ein ausländischer Filmemacher. Das wollte ich eigentlich schon immer sein.

Interview: Martin Schwickert

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