ALFONSO CUARON ÜBER »CHILDREN OF MEN«

Wo wir stehen

Über Katastrophen und Machos


Die Kritik zum Film

Warum lassen Sie Ihren Helden in Badelatschen durch dieses apokalyptische Bürgerkriegsszenario laufen?

Hollywood hat die Idee des Helden in den letzten Jahrzehnten vollkommen verzerrt. Die heutigen Kinohelden sind in ihrem Machismo erstarrt. Ich glaube nicht an diese Helden, die zur rechten Zeit immer die richtigen Entscheidungen treffen und all diese unglaublichen Fähigkeiten entwickeln, mit denen sie ihre Gegner bekämpfen. Ich wollte, dass die Hauptfigur in meinem Film ein gewöhnlicher, verletzbarer Mensch ist, der in eine schwierige Situation hineingerät. Theo repräsentiert für mich die emotionale und soziale Erstarrung, in der sich heute viele Menschen befinden. Er ist eine Art Zombie, der seine Umwelt gar nicht mehr wahrnimmt. Nur durch physischen Schmerz kommt er mit der Realität in Kontakt. Dass er keine Schuhe, sondern Badelatschen trägt, verstärkt seine Verletzbarkeit.

In Hollywood hätte man ihm früher oder später eine Waffe in die Hand gedrückt...

Theo ist ein politischer Aktivist, der zu einem alkoholabhängigen Beamten mutiert ist. Der weiß gar nicht, wie man mit einer Waffe umgeht. Ich finde diese Filme albern, in denen ehemalige Navy-Soldaten sofort wieder all ihre militärischen Instinkte reaktivieren, sobald ein Moment der Gefahr auftritt. Als ich Harry Potter drehte, hatten die Produzenten das Skript zu Children of Men überarbeiten lassen. Da stand dann, dass die Entführer Theo eine Pistole in die Rippen pressen und er sagt: "Erschießt mich doch. Ich habe keine Angst vor euch." Ich habe die Leute gefragt: "Hat auf euch schon einmal jemand eine Waffe gerichtet? Ich komme aus Mexiko, da passiert einem das öfter mal, und ich weiß genau, dass man in dieser Situation all seine Selbstachtung verliert."

Wie die meisten Ihrer Filme beruht auch »Children of Men« auf einem Roman. Wie sind Sie mit der literarischen Vorlage von P.D.James umgegangen?

Es handelt sich bei diesem Film nicht um eine klassische Romanadaption. Wir haben eigentlich nur die Prämisse übernommen und dann darum unsere eigene Geschichte gebaut. Im Buch gibt es keine Einwanderer, keine Flüchtlingslager und auch Key, die schwangere Frau, existiert im Roman nicht. Die Geschichte spielt dort eher im Upperclass-Milieu, das mich überhaupt nicht interessiert hat. Ich wollte einen Film machen, der zeigt, wo unsere Welt heute steht. Wir haben als Kinder immer vom Jahr 2000 geträumt. Das Jahr 2000 war in unserer Vorstellung supercool: intergalaktischer Tourismus, alle Probleme ließen sich per Knopfdruck lösen. Es war fantastisch und sehr weit weg von der Wirklichkeit, der wir heute ins Auge schauen. Es gab auch ein paar düsteren Science Fiction-Visionen. Aber die Welt von heute ist in einem weitaus schlimmeren Zustand, als es all diese pessimistischen Szenarien ausgemalt haben.

Interview: Martin Schwickert