ANDREAS DRESEN ÜBER »SOMMER VORM BALKON«

Die kleine Solidarität

Über schnelle und ungehobelte Geschichten


Der Film zum Interview

Wie würden Sie die Gegensätze beschreiben, die Nike und Katrin miteinander verbinden?

Nike kaschiert ihre Beziehungsängste mit forschem Auftreten und einem losen Mundwerk. Aber in Wirklichkeit trägt sie in sich den tiefen Wunsch zur bürgerlichen Welt dazuzugehören, was man an der Einrichtung ihrer Wohnung unschwer erkennt. Katrin hat bereits lange Zeit mit einem Mann zusammengelebt und steht als alleinerziehende Mutter ganz anders in der Verantwortung. Sie ist ein dünnhäutiger Typ und lernt sich erst im Laufe der Handlung in dieser Welt zu behaupten. Vielleicht ist das zwischen den beiden gar keine echte Freundschaft, sondern eher eine Zweckgemeinschaft. In dem Moment als ein Mann auftaucht, gerät die Beziehung schnell aus dem Gleichgewicht.

Es gibt einen kurzen Augenblick, in dem klar wird, dass die Beziehung auch mehr als Freundschaft sein könnte. Warum schrecken die beiden und mit ihnen auch der Film davor zurück?

Die Szene kippt aus einer zarten Annäherung in eine Verlegenheit herüber. Frauen sind - anders als Männer - eher bereit, sich zu streicheln und in den Arm zu nehmen. Deshalb wollten wir das auch spielen und gleichzeituig zeigen, wo für die beiden die Grenze liegt. Die Eifersucht wiederum resultuiert eher aus einem Verlassensein. Es geht hier nicht darum, dass Katrin Nike ihren Liebhaber nicht gönnt. Aber der Balkon bei Nike war immer ihr Zufluchtsort. Und da macht sich jetzt plötzlich dieser Ronald breit.

Alte, Erwachsene, Kinder wie wichtig war für Sie der generationsübergreifgende Aspekt des Drehbuches?

Das war für mich der größte Reiz der Geschichte, dass man hier Leute in unterschiedlichem Alter mit all ihren Blessuren erlebt. Alle Figuren sind einer zunehmenden Isolation ausgesetzt. Da der Sozialstaat westdeutscher Prägung immer mehr zerfällt, muss jeder sich auf seine Art durchschlagen. Deshalb fand ich es schön, dass es im Film immer wieder Momente gibt, in denen die Leute eine kleine, natürliche Solidarität füreinander entwickeln. Ob es Nike ist, die für die Alten immer ein bißchen mehr als nötig macht, oder die Kellnerin, die Katrin einen Kaffee statt dem Schnaps hinstellt.

In »Halbe Treppe« kamen die Figuren aus der gleichen Generation, hatten jedoch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen...

Die Figuren in Halbe Treppe waren scheinbar angekommen in einer Beziehung und merkten, dass ihr Leben gerade einmal zur Hälfte vorbei ist. Das lässt einen Dinge in Frage stellen, die man vielleicht besser nicht in Frage stellen sollte. Ich denke, es gibt nur zwei Wege: Entweder man lässt sich darauf ein, immer wieder neu zu starten, bis, wie Nike es formuliert, der sexuelle Botenstoff sich verbraucht hat. Das führt zu einem Leben mit hohen Amplituden von Glück und Schmerz. Oder man sagt: Nein, ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich bei einem Menschen bleibe, trotz aller Unvollkommenheit und Kompromisse. Es ist sehr schwer ein dauerhaftes Glück in Beziehung zu finden, was nicht heißt, dass es sich nicht lohnt, danach zu suchen.

Sie gehören zu der letzten Generation von Filmemachern, die in der DDR ausgebildet wurden, und Ihr Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase zählte über drei Jahrzehnte zu den wichtigsten Autoren der DEFA. Wird mit »Sommer vorm Balkon« eine Tradition fortgesetzt?

Ich habe Kohlhaase immer sehr geschätzt. Von manchem seiner Filme, wie etwa Solo Sunny, kann ich die Hälfte der Dialoge auswendig. Wir sind zwar mehr als eine Generationslänge auseinander, haben aber eine ähnliche Sicht auf die Welt und die Menschen. Vielleicht hat das mit der gemeinsamen Herkunft aus einer Filmtradition zu tun. Sich der Wirklichkeit zu stellen, war einer der wichtigsten Triebfedern des ostdeutschen Films. Meine Ausbildung in Babelsberg begann mit einem eineinhalbjährigen Dokumentarfilmstudium. Es ging darum, sich erst einmal anzuschauen wie die Leute leben, bevor man am Schreibtisch seine eigene Welt erfindet.

»Sommer vorm Balkon« ist in wenigen Monaten produziert worden. Warum so schnell?

Das ist eine ungehobelte Geschichte, die einen raschen Zugriff verlangte. Der Film sollte etwas Unfertiges haben und nicht in der Produktion durch die dramaturgische Entwicklung glatt gebügelt werden. Ich habe gute Erfahrung gemacht mit Projekten, die ein gewisses Verve entwickeln, den eigenen Ordnungs- und Stilwillen unterlaufen und die Erzählung nicht mit zu viel Bedeutung überfrachten. Sommer vorm Balkon ist eine einfache Geschichte von zwei Frauen, die sich durch einen rauhen Alltag schlagen. Und das Schöne daran ist, dass sie es schaffen.

Interview: Martin Schwickert