JIM JARMUSCH ÜBER »BROKEN FLOWERS«

FEIGLINGE IN HOLLYWOOD

Der Film zum Interview


Jim Jarmusch, eine Ikone des Independent-Kinos, sprach mit Martin Schwickert übers Filmemachen, warum er nur Verrisse liest, über Bill Murrays Gesicht und seinen neuen Film »Broken Flowers«


Ein Mann, der nach seinem ihm bisher unbekannten Sohn sucht - das Motiv Ihres Filmes findet sich auch in Wim Wenders' »Don't Come Knocking«.
Jarmusch: Für mich ist die Suche nach dem Sohn nicht die treibende Kraft des Filmes. Broken Flowers ist die Charakterstudie eines Menschen, dem in seinem Inneren etwas fehlt. Ich bin nicht daran interessiert zu analysieren, woher diese innere Leere kommt. Die Suche nach dem Sohn ist nur ein Instrument, diese Sehnsucht auszudrücken, die die Figur selbst nicht definieren kann und die auch der Film nicht definieren will.
»Broken Flowers« blickt ohne Nostalgie, jedoch mit sehr viel Melancholie auf die Vergangenheit seiner Figur. Ist das auch die Art, mit der Sie auf Ihre eigenes Leben schauen?
Jarmusch: Nein, genau im Gegenteil. Ich schaue nicht gerne zurück. Ich sehe mir z.B. meine Filme nicht mehr an, nachdem sie fertig sind. Ich habe Stranger Than Paradise seit 1984 nicht mehr gesehen. Ich habe keine Sehnsucht zurückzuschauen. Menschen, denen ich eng verbunden bin, driften von mir weg, weil ihr Leben einen anderen Weg geht, und ich bin nicht daran interessiert, diese Beziehungen zu rekonstruieren. Meine eigene Philosophie ist es, in der Gegenwart zu leben. Manchmal schaffe ich das nur für ein paar Momente am Tag, und dann bin ich schon stolz auf mich.
Suchen Sie in Ihren Filmen gezielt nach Widersprüchen zu Ihrem eigenen Leben?
Jarmusch: In meinen Filmen habe ich mich immer um meine Figuren gesorgt, egal wie beschädigt sie waren oder welche Probleme sie haben, irgendwie habe ich sie immer geliebt. Aber in diesem Film hat mich dieser Don Johnston anfangs überhaupt nicht interessiert. Ich habe mich ihm in keiner Weise verbunden gefühlt. Deshalb war Bill Murray so wichtig. Er hat so viele menschliche Qualitäten, die er alleine nur mit dem Gesicht ausdrücken kann. Bill schafft es, dass man sich diesem Kerl immer mehr verbunden fühlt.
Das Fremdsein im eigenen Leben ist ein wiederkehrendes Motiv in Ihren Filmen...
Jarmusch: Wenn man Johnny Depp in Dead Man anschaut, der ein Alien in der Westernwelt ist, oder Roberto Benigni in Dawn by Law, der vollkommen fremd in den USA ist... Don Johnston ist ein Fremder gegenüber sich selbst. Er ist sich seiner selbst nicht bewusst. Aber ich will die Figur nicht psychologisch erklären. Das hasse ich an vielen biografischen Filmen wie Aviator oder Ray, die mit der Szene beginnen, in der die Mutter eine Neurose auslöst, die später die Aktionen im Leben bestimmen. Solche Erklärungsmodelle vereinfachend und beleidigend. Ich arbeite sehr intuitiv, und meine Intuition muss ich beschützen, indem ich meine Filme bewusst nicht analysiere.
Wie schwer ist es heute für Sie unabhängige Filme zu machen?
Jarmusch: Die Investoren dürfen mir nicht beim Casting hineinreden, sie kommen nicht auf Set und auch nicht in den Schneideraum. Sie geben mit keine Anweisungen, und ich habe den Final Cut. So habe ich immer gearbeitet und das wird auch so bleiben. Darum muss ich immer wieder kämpfen, und ich bin aus vielen Verhandlungen sehr früh herausgegangen, weil die Finanziers mit diesen Bedingungen nicht einverstanden waren.
Mittlerweile werden Sie als Independent-Ikone schon fast historisiert...
Jarmusch: Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Ich lese keine Artikel, die über mich geschrieben werden. Ich lese keine Kritiken, nur die Verrisse, weil es mich interessiert, wie meine Filme aus einer negativen Perspektive wahrgenommen werden. Diese Historisierung ist wie ein Label. Aber ich bin eigentlich nur ein Typ, der sein Ding macht und dabei immer noch etwas dazu lernt. Filmemachen ist für mich ein kontinuierlicher Prozess des Lernens in einem Handwerk, das alles in sich trägt: Musik, Visualität, Rhythmus, Schreiben, Dialoge, Design, Fotographie, emotionale Textur. Das macht mich glücklich.
Ein anderes Label ist das des Kult-Regisseurs. Sind Kultfilme nicht auch nur zeitgeschichtliche Zufallsprodukte?
Jarmusch: Kult ist und bleibt ein Mysterium. Meine Kritik an Hollywood ist nicht, dass sie den Markt analysieren und kommerzielle Filme machen. Viele Filme wie Terminator, die so entstanden sind, sind großartig. Mein Problem mit Hollywood ist, dass sie dort immer Angst davor haben nicht hineinzupassen und somit ihre eigene Chance, mehr Geld zu verdienen, schädigen. Wenn Hollywood mehr Filme für weniger Geld machen würden, könnten manche davon vielleicht ein Kultfilm werden. Aber in Hollywood regieren Feiglinge, und das schädigt das Filmemachen für uns alle. Wenn man viele verschieden Speisen auf den Tisch stellt, weiß man nicht, was die Leute mögen. Vielleicht wollen sie etwas probieren, was sie noch nicht gegessen haben. Niemand sollte jeden Tag sein Lieblingsgericht vorgesetzt bekommen.