ALTE MENSCHEN

Das Ribeiro-Komplott

Drei Bücher rühren an das geheimste Rätsel der modernen Welt. Ohne es zu wissen? (Originalversion vom Mai 95 - Nachschrift 99)

Merken Sie sich den Namen: Ribeiro. Schnell, bevor man mich zum Schweigen bringt. Ribeiro, Carlos, möglicherweise - oder Ribeiro, Joao Ubaldo, vielleicht, aber auf jeden Fall Ribeiro. Oder Ribeiros? Und vielleicht ist es auch mehr als einer. Eine Dynastie, ein Geschlecht. Seien Sie auf der Hut. Und beeilen Sie sich.
Aber lesen Sie vorher: Thompson/Cremo: Verbotene Archäologie. Das ist ein ziemlich trockenes Grenzwissenschafts-Sachbuch unter einem ganz und gar irreführenden Titel: Paläontologie ist gemeint. Die Autoren erzählen darin die Entdeckungsgeschichte der menschlichen Vor- und Frühgeschichte - und die Wiederzudeckungs-Geschichte aller Argumente, Befunde und Vermutungen, die gegen die heutige Lehrmeinug sprechen.
Die ist grob so: zwischen den alten Affen und den jungen Menschen gibt es allerlei Übergangsformen, und der richtige homo sapiens sapiens tritt erst vor höchstens 200.000 Jahren ihre Nachfolge an. Thompson/Cremo sammeln nun Indizien für ein abweichendes Bild: anatomisch moderne Menschen gab's schon 3 Millionen Jahre früher, ihre scheinbaren Vorläufer aber waren ihre Zeitgenossen. Erstaunlich, wieviele starke Hinweise es dafür tatsächlich gibt, und wie, fast meint man "systematisch", sie vernachlässigt, veralbert, unterdrückt und totgeschwiegen wurden.
So gesehen ist Verbotene Archäologie eine lesenswerte Wissenschaftsgeschichte der Verlierer, ein Musterprozeß gegen den nahezu automatisch arbeitenden, beleglosen Theorie-Filter in den scheinobjektiven Wissenschaften ... aber am erstaunlichsten wird es da, wo die Autoren aufhören, etwas zu sagen. Wenn sie nämlich recht hätten, wäre die menschliche Abstammung nicht nur etwas vordatiert, sondern total beim Teufel. Keine Vorfahren mehr, keine Entwicklung im Erscheinungsbild, keine Evolution. Stattdessen ein Einfalls-Tor für jeden Blödsinn von Dänikens Götter-Astronauten bis Rudolf Steiners verlorenem Atlantis-Volk. Damit Menschen aller "Entwicklungstufen" zeitgleich existieren können. Damals. Und heute?
"Der erste Hinweis auf Carlos Ribeiro kam zufällig" schreiben Thompson/Cremo auf Seite 201. Es war auch mein erster Hinweis. Verschiedene Paläontologen des 19. Jahrhunderts erwähnen ihn, moderne Nachschlagewerke lassen ihn weg: Carlos Ribeiro fand ca. 1860 in Portugal menschliche Steinwerkzeuge, die mindestens 5 Millionen Jahre alt sind. Die Lehrmeinung aber formierte sich gegen ihn, weil Affen doch keine Werkzeuge machen. Er resignierte, wanderte nach Brasilien aus und wurde Archäologie-Museumsdirektor. Das ist das eine.
Das andere ist ein Romanzyklus, den der alternde Science-Fiction-Star Robert Silverberg (der immer lieber Archäologie als Raketentreibstoff in seine Bücher einbaute) seiner Frau Karen Haber schreiben half. Darin geht es um homo superiors, die seit jeher, versteckt, inzüchtig und von der Evolution abgekoppelt, unter uns lebten. In naher Zukunft treten sie an die Öffentlichkeit - und kriegen im ersten Band (von vieren: Die Zeit der Mutanten) schwer Streß mit einem Gentiker namens Ribeiros, der in Rio de Janeiro ein Geheimlabor zur künstlichen Herstellung von Mutanten unterhält. Komischerweise aber kommt Ribeiros selbst im Buch nicht persönlich vor. Er zerstreut nur die Verdachtsmomente und verschwindet ungesehen aus der Aufmerksamkeit. Das ist doch schon was.
Das dritte ist ein richtiger hochliterarischer Roman (Das Lächeln der Eidechse), des vor kurzem von Lissabon nach Brasilien zurückgekehrten Joao Ubaldo Ribeiro - und er handelt von einem Genetiker, der irgendwo in Brasilien verbotene Experimente macht. Was genau, kommt nie heraus; der Pater, der ihn im erzählerischen Off entlarvt, stirbt mysteriös ... und am Ende erklärt sich der fiese Szientist ("Dr. Nemesio" mit Tarn-Namen, was Brasilianern und Gebildeten doch sehr nach "Rache" klingt), als kluger Atheist, Anti-Demokrat, Kontroll-Phantast, der die Menschheit in jeder nur denkbaren Weise vervollkommnen will ... am Ende läuft der Berichterstatter weg, ängstlich, unsicher ob er's glauben soll - und eine Eidechse schaut ihm nach, möglicherweise genmanipuliert, und grinst.
Alles Zufall, sagen Sie? Sagte ich auch und ließ die Bücher liegen - bis mich vor ein paar Wochen eine seit Jahren verschollene Freundin aus Brasilien anrief, wohin sie als Privat-Lehrerin ausgewandert war. Sie wolle zurück, sagte sie, es gefalle ihr nicht mehr bei den Ribeiros. "Ribeiro?" fragte ich, "Carlos?" ... Es knackte in der Leitung. "Nein", sagte sie, "Joao, der Autor, du weißt ..." - seitdem ist sie wirklich verschollen.
PS: Sämtliche erwähnten Personen sind real - und die Fakten stimmen zu 99%. Das ist mehr, als alle erwähnten Bücher von sich behaupten können.
PPS: Und dann war da noch eine "Ribeiro"-Agentur in London, die bei uns Werbe-Plätze kaufen, aber vorher das neueste ULTIMO-Exemplar sehen wollte. Sie kriegten, wir fanden das lustig, die Nummer mit dem Ribeiro-Text ... und hörten nie wieder von ihr. Sonst ist nichts Schlimmes passiert, nur die Paläoanthropologie verschiebt, befördert aus dem Umkreis des British Museums, ziemlich genau seit Frühjahr 95 die Menschwerdungsgrenze weiter nach hinten ... 1999 ist sie mit dem Australopithecus ganei (der evtl. eben doch ein homo habilis ist) etwa bei 1 Millionen Jahre vor unserer Zeit angelangt. Der Name Ribeiro aber kam nie wieder vor.


vergl. auch John Darntons Roman über überlebende Neandertaler - und Philip Kerrs Roman über den Yeti.
WING
Michael Cremo/Richard Thompson: Verbotene Archäologie Bettendorffsche Verlagsanstalt, Essen 1994, 440 S., 44.- DM
Karen Haber/Robert Silverberg: Die Zeit der Mutanten Heyne Verlag, München 1994, 364 S., 12.90 DM
Joao Ubaldo Ribeiro: Das Lächeln der Eidechse Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1994, 454 S.