BERLINALE 2000


GLANZ UND LEERE

Die Berlinale ist in der Neuen Mitte angekommen und zeigt Ami-Kommerzfilme bis zum Abwinken. Martin Schwickert für Ultimo im Bärenhagel

Mit dem Umzug zum Potsdamer Platz hat sich nun auch die gute, alte Berlinale der Multiplexisierung der Kinolandschaft ergeben. Die gigantischen Vorführbunker "Cinemaxx" (19 Säle), "Cinestar" (8 Säle) und ein zum "Berlinale-Palast" umfunktioniertes Musical-Theater dienten als klinisch reine Abspielstätten in futuristischem Ambiente.
@zwischenzeile = Verklemmte Täschchen
Das von Sony und Debis bebaute Areal ist eine Stadt für sich und ohne direkte innerstädtische Anbindung an das restliche Berlin. Cineasten sind hier vor lästigen Fremdeinflüssen aus der feindlichen Realität gut abgeschirmt. Während der Filmfestspiele wuselte es in den durchgestylten Straßenzügen aus Terrakotta (Debis) und Glas (Sony) wie in einem Ameisenhaufen. Die viel zu engen und überteuerten Cafés waren ständig überfüllt. Handys piepten in allen erdenklichen Melodievariationen und im hektischen Treiben kamen sich die Festivalprofis spätestens dann näher, wenn sich ihre Daimler-Benz-Sponsorentäschchen ineinander verhakten. Vor dem Berlinale-Palast sorgte der Großbildschirm eines Privatsenders für mediale Dauerbeschallung. Für das Fußvolk wurden hier die Promi-Events live nach draußen projiziert. Zur Eröffnung hallten bedeutungsschwere Politikerstimmen durch die verregneten Straßenschluchten - da kam gleich ein bisschen Reichsparteitags-Atmosphäre in der neuen Berliner Mitte auf.
Passend zur glitzernden neuen Fassade ließ die Festivalleitung Stars vom Himmel regnen: George Clooney, Ice Cube, Milla Jovovich, Matt Damon, Gwyneth Paltrow, Denzel Washington und natürlich Leonardo DiCaprio, dessen Fans schon seit dem frühen Nachmittag am Sperrgitter vor laufenden Kameras Kreischübungen absolvierten.
Der diesjährige Wettbewerbsjahrgang verdeutlichte die bekannte Dialektik zwischen äußerem Glanz und innerer Leere. Die US-Verleihe nutzten das Festival wieder gnadenlos als Abschussrampe für ihre Kinostarts. Filme wie Three Kings, The Million Dollar Hotel (Silberner Bär), The Beach und Der talentierte Mr. Ripley kamen noch während der Berlinale bundesweit in die Kinos, so dass der Wettbewerb eher einer vorgezogenen Retrospektive glich.
Mit dem Umzug feierte das Festival auch seinen Fünfzigsten, und an runden Geburtstagen neigt man gerne zu Sentimentalitäten. Mit Wim Wenders, Rudolf Thome und Volker Schlöndorff hatte man sich gleich drei deutsche Alt-Achtundsechziger in den Wettbewerb geladen, während junge Filmemacher wie Romuald Karmakar, Oscar Röhler und Matthias Glasner draußen bleiben mussten.
@zwischenzeile = Die Filme

Mit Die Stille nach dem Schuss hat Schlöndorff sich auf seine alten Tage noch einmal dem Terrorismus-Thema angenommen und beschreibt das Leben der in der DDR untergetauchten RAF-Aussteiger. Eine nette Terroristin wird hier von guten Stasi-Offizieren in einer mehr schlecht als rechten DDR versteckt. Auch wenn man Schlöndorffs politische Einschätzungen teilt, wird daraus kein spannender Film, weil die Widersprüche, die die Geschichte interessant machen könnten, konsequent ausgeblendet werden. Wer übrigens immer noch denkt, dass Filmemachen eine aufregende Sache ist, sollte einmal eine Schlöndorff-Pressekonferenz besuchen. Immerhin zeichnete die Jury freundlicherweise die beiden Hauptdarstellerinnen Nadja Uhl und Bibiana Beglau mit zwei Silberbären aus.
Seit seinem ersten Spielfilm Rote Sonne (1969) kreisen Rudolf Thomes Filme beständig um die polygamen Männerfantasien ihres Regisseurs. In Paradiso lädt ein gealterter Ehebrecher die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens zum 60. Geburtstag ein. Die schräge Landpartie ist zwar recht amüsant und außerdem mit der wunderbaren Cora Frost besetzt, aber im Wettbewerb deutlich deplaziert. Immerhin ist Thome der einzige deutsche Regisseur, der französische Filme macht.
Es gibt auch Franzosen, die machen deutsche Filme. Francois Ozon (Sitcom) hat mit Tropfen auf heiße Steine ein altes Fassbinder-Stück reanimiert. In hübschem 70er Jahre Dekor inszeniert Ozon das Stück um Macht und Ohnmacht in einem homo-hetero-sexuellen Beziehungsquadrat als pointenreiches Kammerspiel mit deutschem Schlagergut und Gruppensex in Neubauwohnungen. Fürs europäische Kunstkino zeichnete in diesem Jahr Laetitia Masson mit dem überambitionierten Love Me verantwortlich, aber auch Jonathan Nossiter präsentierte in Signs and Wonders (immerhin mit Charlotte Rampling) schmerzhafte Kopfgeburten.
Da hauen die US-Filme doch schon kräftiger auf den Putz. Neben Norman Jewisons Boxerfilm Hurricane (Silberner Bär für Hauptdarsteller Denzel Washington) lässt auch Oliver Stones Adrenalin- und Testosteron-geschwängerter Football-Film An jedem verdammten Sonntag im Dolby-Surround-Verfahren die Knochen krachen: hypernervöser Schnittrhythmus, musikalische Dauerattacke und natürlich jede Menge Kritik an der unmenschlichen Kommerzialisierung des Sports. Stone ist und bleibt ein Moralist, und Al Pacinos flammendes Coach-Plädoyer für mehr Teamgeist könnte man auch an Bill Clinton verkaufen.
Bret Easton Ellis Roman American Psycho galt lange Zeit wegen seiner expliziten Gewaltorgien als unverfilmbar. Mary Harron (I Shot Andy Warhol) hat den Splattergehalt auf ein notwendiges Maß reduziert und konzentriert sich auf die psychischen Abgründe, die sich hinter der Designer-Fassade des paranoiden Wallstreet-Brokers Bateman verbergen. Ein kühles Horrorgemälde in strahlenden Weiß-Tönen mit roten Spritzern. Unverständlicherweise lief der eindringlichste Film in diesem mutlosen Wettbewerb außer Konkurrenz.
Milos Forman hat sich nach Larry Flint mit Der Mondmann (Silberner Bär für Regie) wieder eines amerikanischen Provokateurs angenommen. Ende der 70er Jahre stellte der Komiker Andy Kaufman mit genial-langatmigen Performances alle Humorkonventionen auf den Kopf. Jim Carrey in der Hauptrolle nervt hier weniger als sonst, aber es will ihm trotzdem nicht so recht gelingen, Kaufmans Anti-Humor in diesem allzu geradlinigen Biopic zu vermitteln.
@zwischenzeile = Der verdiente Bär

Altmans Short Cuts wurde schon oft nachgeahmt, aber selten so gewinnbringend wie in Paul Thomas Andersons Magnolia. In einer dreistündigen Parallelmontage beschreibt Magnolia das Leben und Sterben in L.A. an den Randzonen des glamourösen Hollywoodbetriebs. Bei Altman war es ein Erdbeben, dass die verkrusteten Strukturen aufbrechen ließ. Anderson lässt Frösche vom Himmel regnen und bekam für Magnolia verdientermaßen den Goldenen Bären.
Die Jury hatte in diesem Jahr leichtes Spiel. Nach dem Aussieben der zahllosen Wettbewerbsnieten blieb eigentlich nur ein Film für den Hauptpreis übrig. Die Silbernen Bären wurden so großzügig verteilt wie die Trostpreise bei einem Kindergeburtstag. Dabei wurde das Gastgeberland über Gebühr mit Geschenken bedacht. Sogar Thomes Paradiso bekam einen kleinen Bären aufgebunden.
Der Umzug der Berlinale ins neue Kunstherz Berlins hat die Logistik des Festivals deutlich verbessert. Kurze Wege zwischen den Vorführungen und auch für den Normalverbraucher gab es Tickets ohne lange Wartezeiten. Wer wollte, konnte mehr Filme an einem Tag sehen als je zuvor. Effizienz und Glamour sollten aber immer nur Sekundär-Tugenden eines internationalen Filmfestivals sein. Wenn hinter der grellbunten Fassade ein um so eintönigeres Wettbewerbsprogramm gezeigt wird, verlieren die Blendeffekte der neuen Location schnell an Wirkung und dann kann es schnell ganz peinlich werden.

Martin Schwickert